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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Besondere Merkmale der Gesundheitskompetenz von Menschen mit psychischen Erkrankungen

Meeting Abstract

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  • Pauline Mantell - Uniklinik Köln, Köln, Germany
  • Julia Däumling - Uniklinik Köln, Köln, Germany
  • Christiane Woopen - Universität zu Köln, Köln, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP122

doi: 10.3205/17dkvf356, urn:nbn:de:0183-17dkvf3566

Published: September 26, 2017

© 2017 Mantell et al.
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Hintergrund: Psychische Erkrankungen zählen zu den häufigsten chronischen Krankheiten der westlichen Gesellschaft, die mit erheblichen Beeinträchtigungen der Lebensqualität einhergehen. Sie sind mit einer hohen individuellen und gesellschaftlichen Krankheitslast verbunden. Psychische und physische Gesundheit sind dabei eng miteinander verknüpft; somatische und psychiatrische Komorbidität ist bei Menschen mit psychischen Erkrankungen besonders häufig. Bundesweite epidemiologische Studien zeigen, dass 28% der deutschen Bevölkerung in einem Zeitraum von zwölf Monaten von mindestens einer psychischen Erkrankung betroffen waren (Jacobi et al. 2015).

Gesundheitskompetenz (GK) wird als Schlüsselkonzept für gesundheitsrelevantes Verhalten verstanden. Sørensen et al. (2012) unterscheiden in einer integrierten Definition der GK vier Schritte im Prozess der Verarbeitung von Gesundheitsinformationen: sie zu finden, zu verstehen, zu bewerten und in gesundheitsförderliches Verhalten umzusetzen.

Fragestellung: Ziel dieser empirischen Studie ist es, die GK von Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen zu untersuchen.

Methode: Die Analyse basiert auf Zwischenergebnissen einer Querschnittserhebung in einer Population von Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen (N=153), die sich hilfesuchend an ein Früherkennungszentrum für psychische Erkrankungen in Köln oder München wenden. Die Erhebung erfolgte mittels standardisierter Fragebögen und umfasst selbsteingeschätzte GK (HLS-EU-Q47), gesundheitsbezogenes Verhalten und Folgen sowie soziodemographische Daten. Psychopathologische Angaben der Patienten wurden separat von Mitarbeitern der Früherkennungszentren erfasst. Es wurden Zusammenhänge zwischen soziodemographischen sowie psychopathologischen Charakteristika und Einschränkungen im Bereich der GK analysiert. Eine differenzierte Betrachtung erfolgt im Hinblick auf Limitationen innerhalb der vier Schritte des Informationsverarbeitungsprozesses. Die vorliegenden Daten werden mit einem repräsentativen Deutschlandsample verglichen (Schäfer et al. 2016).

Ergebnisse: In einer Population von Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen zeigen 63,6% eine problematische GK. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ist die GK damit deutlich niedriger, obwohl bekannte Risikofaktoren für eine niedrige GK einschließlich niedrigem Bildungsstatus und hohem Alter deutlich unterrepräsentiert sind. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Psychopathologie einen relevanten Prädiktor für die GK darstellt. Zwischen klinischen Diagnosen lassen sich Unterschiede feststellen, wobei Menschen mit affektiven Störungen und Angststörungen eine besonders problematische GK aufzeigen. Darüber hinaus scheint das Level der GK mit steigender depressiver Symptomatik zu sinken.

Einschränkungen der GK gehen mit einem schlechteren subjektiven Gesundheitszustand, vermehrten Angaben über chronische Erkrankungen sowie psychischer Komorbidität einher.

Eine differenzierte Betrachtung zeigt, dass die Limitation vor allem durch die Prozessschritte der Bewertung und Umsetzung erklärt wird. Im Vergleich zum deutschen Sample wird insbesondere die Umsetzung gesundheitsrelevanter Informationen als schwierig empfunden. Gleichzeitig weisen die Daten darauf hin, dass dieser Prozessschritt den größten Einfluss auf Gesundheitsverhalten und -folgen, wie z.B. Alkoholkonsum, Bewegungsverhaltung und der Häufigkeit chronischer Erkrankungen, hat.

Diskussion und praktische Implikationen: Menschen mit psychischen Erkrankungen könnten von einer hohen Gesundheitskompetenz voraussichtlich sehr profitieren, wobei zugleich ihre Krankheit eine potentielle Barriere für den Informationsverarbeitungsprozess darstellt. Bislang fokussierte die Forschung im Kontext der GK psychisch Erkrankter vorwiegend auf Literalität sowie die Fähigkeit, gesundheitsrelevante Informationen zu verstehen. Die vorliegende Analyse legt jedoch nahe, dass die Prozessschritte der Bewertung und Umsetzung in dieser Population von besonders kritischer Bedeutung sind.

Die vorläufigen Ergebnisse dieser Studie werden durch die Erkenntnis gestützt, dass psychische Erkrankungen nachteilige Auswirkungen auf Motivation, Selbstwirksamkeit und exekutive Funktionen haben können. Wir nehmen an, dass die motivationale Komponente in dieser Population die Fähigkeit beeinflusst, gesundheitsrelevante Entscheidungen umzusetzen. Gefühle von Angst und Unsicherheit, die durch (erstmalige) psychische Probleme hervorgerufen werden, könnten zudem die subjektiven Bewertungsfähigkeiten einschränken.

Im Hinblick auf eine Implementierung von Fördermaßnahmen zur Stärkung der GK sind zunächst die Fähigkeiten und Kompetenzen der Individuen in den Blick zu nehmen. Erste Forschungsergebnisse implizieren, dass der Bedarf in einer Population von Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen insbesondere in einer Stärkung der Bewertungs- und Umsetzungskompetenz liegt.