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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Präferenzen von Nutzerinnen bei der Versorgung von frühen Schwangerschaftsverlusten: Systematic Review und Analytic Hierarchy Process (AHP)

Meeting Abstract

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  • Mirjam Peters - Hochschule für Gesundheit, Bochum, Germany
  • Charalabos-Markos Dintsios - Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP149

doi: 10.3205/17dkvf336, urn:nbn:de:0183-17dkvf3365

Published: September 26, 2017

© 2017 Peters et al.
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Hintergrund: Zehn bis zwanzig Prozent aller Schwangerschaften enden im ersten Trimenon in einem frühen Schwangerschaftsverlust (FSV, auch Fehlgeburt genannt), dieser somatisch meist unkomplizierte Vorgang geht für viele Frauen mit einer erhöhten psychischen Belastung einher. In Deutschland wird zur Versorgung des FSV vermutlich überwiegend ausschließlich eine operative Behandlung angeboten (Hosang, 2013; Vitzthum et al., 2006), während eine Auswahl zwischen einem abwartendem, einem medikamentösem oder einem operativen Vorgehen möglich wäre (ACOG 2015). Über die Versorgungspräferenzen betroffener Frauen ist bisher kaum etwas bekannt.

Dieser Beitrag ist die erste quantitative Präferenzerhebung bei Frauen mit FSV unter Einbeziehung psychologischer Leistungskriterien der Versorgungsoptionen. Die Ergebnisse könnten für die Einbeziehung der Präferenzen bei der Informationsbereitstellung und der Auswahl der zur Verfügung stehenden Versorgungsalternativen mit entsprechenden Implikationen auf verschiedenen Ebenen des Gesundheitssystems genutzt werden.

Fragestellung: Dieser Beitrag stellt die Präferenzen der Nutzerinnen bei der Versorgung von FSV in Deutschland anhand einer Stichprobe dar und zeigt auf, welche Leistungsaspekte der Versorgungsoptionen für die Nutzerinnen relevant sind.

Methode: Zur Ermittlung möglicherweise relevanter Leistungskriterien wurde eine systematische Literatur-recherche zu Nutzen und Schaden der Versorgungsoptionen und zu vorhandenen qualitativen und quantitativen Präferenzerhebungen bei FSV durchgeführt. Durch ein Fokusgruppeninterview wurden die aus der Literatur ermittelten Leistungskriterien in Ihrer Übertragbarkeit auf Deutschland getestet.

Unter Anwendung eines Analytic Hierarchy Process (AHP) wurde anhand der Präferenzaussagen von 37 Teilnehmerinnen eine Gewichtung und Rangreihung der Leistungskriterien vorgenommen. Die in telefonischen Interviews erhobenen Daten wurden mit Hilfe der Consistency Ratio (CR) auf ihre Güte überprüft und anhand von Daten mittels der Think Aloud Methode ergänzt. Der AHP ist neben der Conjoint Analyse (CA) eines von zwei Multi Criteria Decision Analysis Verfahren (MCDA), welche das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) zur Messung von Patientenpräferenzen erprobt hat.

Ergebnisse: Anhand der Literaturrecherche zeigte sich keine medizinische Überlegenheit einer der Versor-gungsoptionen. Es konnten zwölf für Nutzerinnen relevante Leistungskriterien aus der Literatur extrahiert werden. Sie wurden von den Teilnehmerinnen in der folgenden absteigenden Rangfolge gewichtet: (1) Psychische Belastungen vermeiden, (2) Vermeiden einer operativen Nachbehandlung, (3) Die Fehlgeburt als natürlicher Prozess erleben, (4) Komplikationen und Nebenwirkungen vermeiden, (5) Verletzungen an Uterus/Zervix vermeiden, (6) Behandlung im Krankenhaus vermeiden, (7) Unsicherheit wann die Fehlgeburt abgeschlossen ist vermeiden, (8) Einen kurzen Zeitraum bis zur abgeschlossenen Fehlgeburt haben, (9) Eine Bluttransfusion vermeiden, (10) Vermeiden den Fötus zu sehen, (11) Medikamentennebenwirkungen vermeiden und (12) Belastungen durch Schmerzen/Blutung vermeiden.

Diskussion: Die Ergebnisse zeigen, welche Kriterien für betroffene Frauen besonders bedeutsam oder wenig bedeutsam sind. Sie lassen vermuten, dass die Entscheidung für eine Versorgungsmethode bei betroffenen Frauen vor allem abhängig von subjektiv bewerteten psychologischen Belastungen der jeweiligen Methode ist. Unter Einbeziehung von psychologischen Leistungskriterien in die Präferenzmessung zeigt sich eine andere Rangreihung der Leistungskriterien, als bei vorhandenen Präferenzmessungen mit ausschließlich somatischen Kriterien (Petrou & McIntosh, 2009; Ryan & Hughes, 1992).

Zum Teil wurden in der vorliegenden Studie die unterschiedlichen aus der Literatur bekannten CR-Grenzwerte überschritten. Es kam jedoch nur zu einem sehr geringen Tausch der Ränge in der Stratifizierung nach CR-Grenzen. Die Ränge der Kriterien waren damit insgesamt stabil. Bei der Stichprobe handelt es sich um eine nicht repräsentative Gelegenheitsstichprobe. Der Stichprobenumfang ist ausreichend für stabile Ergebnisse des AHP, jedoch nur eingeschränkt aussagekräftig in Hinblick auf weitere Analysen.

Praktische Implikationen: Es liegen keine validen Daten zum Versorgungsangebot von frühen Schwangerschaftsverlusten in Deutschland vor. Auf Grund des großen Wunsches der Teilnehmerinnen über alle Versorgungsoptionen informiert zu werden und eine informierte individuelle Entscheidung treffen zu können, erscheint eine Rangreihung der vorliegenden Versorgungsoptionen nicht sinnvoll. Im Gegensatz zu England und den USA gibt es in Deutschland keine Leitlinie zum FSV und auch keine Nutzerinneninformation zu den Versorgungsoptionen. Als bedeutsam identifizierte Leistungskriterien könnten bei deren Erstellung berücksichtigt werden.