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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Partizipative Einschätzung gesundheitlicher und pflegerischer Bedarfe von Menschen mit geistigen und/oder mehrfachen Behinderungen in Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe

Meeting Abstract

  • Jasmin Greskötter - Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Wolfsburg, Germany
  • Lina Stölting - Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Wolfsburg, Germany
  • Martina Hasseler - Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Wolfsburg, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP195

doi: 10.3205/17dkvf328, urn:nbn:de:0183-17dkvf3288

Published: September 26, 2017

© 2017 Greskötter et al.
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Text

Hintergrund: Durch eine erhöhte Lebenserwartung von Menschen mit Behinderungen ergeben sich veränderte Ansprüche an deren gesundheitliche und pflegerische Versorgung, welche allerdings nicht adäquat gedeckt werden und sich demgemäß eine Benachteiligung in der Versorgung dieser Personengruppe ergibt. Im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung sind die Zugänge zur gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung nachweislich eingeschränkt.

Die pflegebedürftigen älteren Menschen mit Beeinträchtigungen werden überwiegend von den MitarbeiterInnen der Wohneinrichtungen selbst pflegerisch versorgt, welche in der Regel in der pflegespezifischen Versorgung nicht geschult sind. Selten werden externe oder interne ambulante Pflegedienstleistungen in Anspruch genommen.

Einrichtungen der Eingliederungshilfe können aufgrund der aktuellen Entwicklungen vielfach den Bedarfen von älteren Menschen mit Behinderungen nicht gerecht werden. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass bislang ein systematisches Assessmentinstrument für die Einschätzung gesundheitlicher und pflegerischer Bedarfe älter werdender Menschen mit Behinderungen fehlt. Dieses sollte setting-, sektoren- und berufsgruppenübergreifend eingesetzt werden können, um eine umfassende und zielgruppenadäquate gesundheitliche und pflegerische Versorgung zu gewährleisten.

Fragestellung: Welche gesundheitlichen und pflegerischen Bedarfe von Menschen mit geistigen und/oder mehrfachen Behinderungen werden aus der Sicht der Einrichtungs-MitarbeiterInnen und der Zielgruppe selbst beschrieben?

Methode: Da bislang wenig Befunde zu gesundheitlichen und pflegerischen Bedarfen von Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen zu finden sind, wird im ersten Arbeitsschritt des Projektes ein qualitativer Forschungsansatz gewählt, um die Perspektive der MitarbeiterInnen und der BewohnerInnen selbst im Hinblick auf die Erfassung und Darstellung der gesundheitlichen und pflegerischen Bedarfe erheben zu können. Als Forschungsdesign wird die Grounded Theory angewendet.

Es werden Interviews sowohl mit den MitarbeiterInnen, als auch den BewohnerInnen geführt. Mit den MitarbeiterInnen der Einrichtungen erfolgt jeweils ein episodisches Interview.

Mit den BewohnerInnen werden Interviews in leichter Sprache unter Zuhilfenahme von Piktogrammen geführt. Da Fremdaussagen beziehungsweise Stellvertreterbefragungen nicht hinreichend valide sind, werden die Menschen mit Beeinträchtigungen selbst befragt. Mimiken und Gestiken der Befragten werden ergänzend protokolliert.

Die Auswertung der Interviews erfolgt in Anlehnung an die Grounded Theory.

Ergebnisse: Es werden gesundheitliche und pflegerische Bedarfe aus Sicht der MitarbeiterInnen und den BewohnerInnen erhoben und abgebildet. Zusätzlich werden ihre Einschätzungen in Bezug auf die Erfüllung gesundheitlicher und pflegerischer Bedarfe sowie förderlicher und hinderlicher Faktoren bei der Bedarfserhebung, Planung und Umsetzung der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung herausgearbeitet.

Diese Ergebnisse bilden die Grundlage für die Entwicklung eines Einschätzungsinstrumentes zur systematischen Erfassung von gesundheitlichen und pflegerischen Bedarfen in den Einrichtungen der Behindertenhilfe.

Diskussion: Bislang wird in Einrichtungen der Behindertenhilfe vielfach das Metzler-Verfahren angewandt, welches als Grundlage für die gesetzliche geforderte Hilfeplanung ein paar allgemeine Fragen zur gesundheitlichen Versorgung beinhaltet. Diese reichen jedoch für eine differenzierte Planung und Durchführung einer gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung nicht aus. Auch das ICF kann diese Bedarfe nicht zielgenau abbilden. Daher bedarf es eines Instrumentes, welches sich explizit mit der systematischen Erhebung der gesundheitlichen und pflegerischen Bedarfe von Menschen mit Beeinträchtigungen befasst. Ein partizipativer Ansatz für die Entwicklung eines entsprechenden Instrumentes ist dabei von großer Bedeutung, um die relevanten Themen für die Bedarfserhebung abzudecken.

Praktische Implikationen: Die Ergebnisse der Interviews bilden die wesentliche Grundlage für die Entwicklung eines bedarfsorientierten, partizipativen Assessments zur systematischen Erfassung der gesundheitlichen und pflegerischen Bedarfe von Menschen mit geistigen und/oder mehrfachen Beeinträchtigungen.

Mit dem zu entwickelnden Instrument sollen innerhalb der jeweiligen Einrichtungen wie auch setting- und sektorenübergreifend die Prozesse der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung von Menschen mit Behinderungen verbessert werden. Die MitarbeiterInnen werden schneller in die Lage versetzt, relevante Bedarfe zu erkennen, darauf mit Planungen und Maßnahmen zu reagieren sowie institutionen- und sektorenübergreifend die Bedarfe an andere Berufsgruppen in Einrichtungen von Gesundheit und Pflege (z.B. Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte) weiter zu leiten.