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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Organisationsübergreifendes Monitoring der Gesundheitsversorgung unversicherter Menschen in der Parallelversorgung: Eine partizipative Studie zu Herausforderungen der Implementierung und zur Konzeptentwicklung

Meeting Abstract

  • Stefan Nöst - Universitätsklinikum Heidelberg, Heidelberg, Germany
  • Sandra Gewalt - Universitätsklinikum Heidelberg, Heidelberg, Germany
  • Regine Martis-Cisisc - Malteser Migranten Medizin Stuttgart, Stuttgart, Germany
  • Carolin Bader - Ärzte der Welt, München, München, Germany
  • Veronika Dörfler - Malteser Migranten Medizin München, München, Germany
  • Lukas Kratzsch - MediNetz Rhein Neckar, Heidelberg, Germany
  • Kayvan Bozorgmehr - Universitätsklinikum Heidelberg, Heidelberg, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP110

doi: 10.3205/17dkvf252, urn:nbn:de:0183-17dkvf2521

Published: September 26, 2017

© 2017 Nöst et al.
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Text

Hintergrund: In Deutschland leben zahlreiche Menschen ohne Krankenversicherung. Dies betrifft in einem überproportionalen Maße Migrantinnen und Migranten. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung dieser Menschen ist eingeschränkt. Eine Medizinische Grundversorgung für diese Bevölkerungsgruppe wird regional häufig durch zivilgesellschaftliche Organisationen sichergestellt. Diese Parallelstrukturen haben sich zu einem festen, wenn auch informellen Bestandteil des Sozial- und Gesundheitssystems entwickelt. Versorgungsbezogene Informationen zu medizinischen Beratungsanlässen, zur Inanspruchnahme und zum Versorgungsbedarf sowie zu Art und Ausmaß der Zugangsbarrieren zum formellen System bleiben aufgrund des informellen Charakters des Parallelsystems weitestgehend verborgen. Die verfügbaren Berichte sind meist organisations- oder regionsbezogen und die berichteten Daten sind kaum vergleichbar. Das Vorhaben MONITORaccess hat zum Ziel, ein Monitoring und eine organisations- und regionsübergreifenden Berichterstattung der gesundheitlichen Versorgung von Menschen ohne Krankenversicherungsschutz im Parallelsystem zu entwickeln und zu implementieren. Das Projekt ist gefördert im Rahmen der Nachwuchsakademie Versorgungsforschung des Landes Baden-Württemberg.

Fragestellung: Welche sozialen und organisationsbezogenen Herausforderungen bestehen hinsichtlich einer Implementierung eines Monitoring-Systems und welche Lösungen sind umsetzbar?

Methode: Ausgehend von einem partizipativen Mixed-Method Studiendesign wurde eine qualitative Anforderungsanalyse durchgeführt und gemeinsam mit vier zivilgesellschaftlichen Organisationen ein Konzept für ein organisationsübergreifendes Monitoring entwickelt. Die Datenerhebung erfolgte durch teilnehmenden Beobachtungen und Experteninterviews. Die Daten wurden mit Blick auf organisationsbezogene Herausforderungen und Ressourcen qualitativ inhaltsanalytisch und hermeneutisch ausgewertet, an die Organisationen zurückgespiegelt und gemeinsam diskutiert. Auf dieser Grundlage erfolgten eine gemeinsame Zieldefinition und die Konsentierung eines Indikatorensatzes. Hauptzielkriterien des Monitoring sind der Beratungsanlass, klassifiziert nach der International Classification of Primary Care (ICPC), und die selbstberichteten Zugangsbarrieren zur Gesundheitsversorgung, in Anlehnung an die Items der European Union Statistics on Income and Living Conditions (EU-SILC).

Ergebnisse: Die Versorgungsorganisationen unterscheiden sich hinsichtlich ihres Organisationszweckes und der Organisationskultur. Damit gehen unterschiedliche Implementierungsbedingungen eines organisationsübergreifenden Monitoring einher, die entlang folgender Dimensionen kategorisiert werden: 1) Erwartungen und Ziele, 2) Organisationsroutinen, 3) Dokumentation und Ressourcen zur strukturierten Zusammenführung der Daten, 4) Partizipation und Datennutzung. Trotz einiger Barrieren stellen die Netzwerkbildung und der gemeinsame Infrastrukturaufbau wichtige Vorteile aus Sicht der beteiligten Organisationen dar. Eine förderliche Perspektive ist auch der mögliche Beitrag zur Gestaltung regionaler und nationaler Versorgungsplanung und Gesundheitspolitik durch eine gemeinsame Statistik. Der Indikatorensatz, der unter Berücksichtigung dieser Erwartungen und Anforderungen partizipativ konsentiert wurde, umfasst soziodemografische sowie gesundheits- und versorgungsbezogene Daten. Zur Datenerhebung für das Monitoring wurden ein standardisierter Dokumentationsbogen für Versorgende und ein Patientenfragebogen entwickelt. Der Patientenfragebogen wurde in unterschiedliche Sprachen übersetzt.

Diskussion: Im Rahmen dieser Studie wurde ein inhaltliches Konzept eines Monitoring partizipativ mit zivilgesellschaftlichen Organisationen entwickelt. Die partizipative Entwicklung ist dabei eine notwendige, wenngleich keine hinreichende Bedingung für das Funktionieren. Das Versorgungssetting im Parallelsystem zeichnet sich durch Datensensibilität und Heterogenität der Versorgungsorganisationen aus. Im nächsten Schritt einer achtwöchigen Pilotierung muss sich das Konzept im Versorgungsalltag bewähren und daraufhin können Perspektiven einer weiteren Dissemination diskutiert werden.

Praktische Implikationen: Die hohe Anzahl nichtversicherter Menschen in Deutschland wird angesichts der aktuellen Migrationsströme steigen. In der Versorgungsforschung besteht eine Forschungslücke zur Gesundheit und zur Versorgungssituation dieser heterogenen Population. Erstmalig steht ein Konzept zur Verfügung, das ein organisationsübergreifendes Monitoring zur Versorgung nichtversicherter Menschen im Parallelsystem ermöglicht, welches als Informationsgrundlage für zielgerichtete Entscheidungen zur Versorgungsplanung und Gesundheitspolitik genutzt werden kann.