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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Medizinische Versorgung Pflegebedürftiger in stationären Einrichtungen: Von der Analyse der Versorgungssituation zur bedarfsgerechteren Versorgung

Meeting Abstract

  • Jonas Czwikla - Universität Bremen, SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik, Bremen, Germany
  • Thomas Kalwitzki - Universität Bremen, SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik, Bremen, Germany
  • Chrysanthi Tsiasioti - Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), Berlin, Germany
  • Antje Schwinger - Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), Berlin, Germany
  • Daniel Gand - Universität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP), Bremen, Germany
  • Annika Schmidt - Universität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP), Bremen, Germany
  • Guido Schmiemann - Universität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP), Bremen, Germany
  • Karin Wolf-Ostermann - Universität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP), Bremen, Germany
  • Ansgar Gerhardus - Universität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP), Bremen, Germany
  • Heinz Rothgang - Universität Bremen, SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik, Bremen, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP229

doi: 10.3205/17dkvf218, urn:nbn:de:0183-17dkvf2180

Published: September 26, 2017

© 2017 Czwikla et al.
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Text

Hintergrund: Eine bedarfsgerechte medizinische Versorgung in stationären Pflegeeinrichtungen liefert einen wichtigen Beitrag für den Erhalt und die Förderung der Gesundheit und Lebensqualität pflegebedürftiger Menschen. Da Pflegebedürftige in Studien der Versorgungsforschung häufig ausgeschlossen werden, liegen zu den medizinischen Versorgungsbedarfen und zur medizinischen Versorgung Pflegebedürftiger mit Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bisher nur begrenzte Erkenntnisse vor. Einzelne vorwiegend auf Sekundärdaten basierende Studien können lediglich zeigen, dass Pflegebedürftige in Pflegeheimen signifikant seltener Kontakt zu einzelnen Arztgruppen haben und abweichende Verordnungsmuster für Psycholeptika, Antidepressiva und Antidementiva aufweisen. Unklar ist, inwiefern in diesen Studien Über-, Unter- und Fehlversorgung beschrieben wird, da die Bedarfsgerechtigkeit der medizinischen Versorgung nur durch das Verhältnis von individuellem Bedarf und individueller Inanspruchnahme beurteilt werden kann. Primäres Ziel des Projekts ist der Erkenntnisgewinn über die Bedarfsgerechtigkeit der haus- und fachärztlichen Versorgung Pflegebedürftiger in stationären Pflegeeinrichtungen als Voraussetzung für die Schaffung einer bedarfsgerechteren Versorgung in diesem Setting.

Fragestellung: Die aktuelle Situation der haus- und fachärztlichen Versorgung Pflegebedürftiger in Pflegeheimen wird im Vergleich zu Pflegebedürftigen in ambulanter Pflege und Nicht-Pflegebedürftigen untersucht und, unter Beachtung des individuellen Gesundheitszustandes, im Hinblick auf ihre Bedarfsgerechtigkeit bewertet. Potentiale und Ansätze für eine Verbesserung der Bedarfsgerechtigkeit werden abgeleitet und als Grundlage für die Entwicklung eines Modellprojekts zur Verbesserung der medizinischen Versorgung in Pflegeheimen genutzt.

Methode: Das als Mixed-Methods-Studie angelegte Projekt besteht aus fünf konsekutiven Arbeitsschritten. In Schritt 1 werden mittels GKV-Routinedatenanalyse Unterschiede in der Inanspruchnahme der haus- und fachärztlichen Versorgung zwischen a) Pflegebedürftigen in Pflegeheimen, b) Pflegebedürftigen in ambulanter Pflege und c) Nicht-Pflegebedürftigen unter Berücksichtigung der individuellen Morbidität erfasst. Identifizierte Versorgungsunterschiede werden in Schritt 2 auf Grundlage einer Primärdatenerhebung mit standardisierten Assessments bei n=500 Pflegebedürftigen in Pflegeheimen in Fallbesprechungen auf das Vorliegen von Über-, Unter- und Fehlversorgung beurteilt. Die Erklärung nicht bedarfsgerechter Versorgung erfolgt in Schritt 3 anhand einer Analyse der mit den Primärdaten mittels Record Linkage verknüpften GKV-Routinedaten sowie in Schritt 4 anhand von Fallrekonstruktionen in Fallkonferenzen mit allen an der Versorgung Beteiligten. Auf Basis der auf diese Weise erstmals erhobenen und erklärten Versorgungsdefizite werden in Schritt 5 Verbesserungspotentiale und Lösungsansätze in Fokusgruppengesprächen abgeleitet, die in einem Delphi-Verfahren als Grundlage für die Entwicklung eines Modellprojekts dienen, welches abschließend pilotiert wird.

Ergebnisse: Die Analyse der aktuellen Versorgungssituation mittels GKV-Routinedaten sowie die identifizierten Unterschiede in der Inanspruchnahme medizinischer Versorgungsleistungen zwischen Pflegebedürftigen in Pflegeheimen, Pflegebedürftigen in ambulanter Pflege und Nicht-Pflegebedürftigen werden vorgestellt. Potentielle Versorgungsdefizite, die mittels standardisierter Assessments in einer Primärdatenerhebung auf ihre Bedarfsgerechtigkeit beurteilt werden, werden präsentiert.

Diskussion: Der konsekutive Charakter des Projekts ermöglicht es, die aktuelle Versorgungssituation zu analysieren, konkrete Versorgungsdefizite zu identifizieren und erste Maßnahmen zur Schaffung einer bedarfsgerechteren Versorgung zu initiieren. Die Ergebnisse der einzelnen Arbeitsschritte dienen als Grundlage für die jeweils nachfolgenden Schritte und erlauben erstmals eine systematische Beurteilung abweichender Versorgungsmuster bei Pflegebedürftigen in Pflegeheimen. Partizipative Prozesse der Ist-Analyse (Fallbesprechungen und Fallrekonstruktionen in Fallkonferenzen), der Identifizierung von Verbesserungspotentialen und Lösungsansätzen (Fokusgruppengespräche) und der Übertragung der Ergebnisse in die Praxis (Delphi-Verfahren und Modellprojekt) kennzeichnen den Innovationsgehalt des Projekts.

Praktische Implikationen: Für die evidenzbasierte Verbesserung der Bedarfsgerechtigkeit der medizinischen Versorgung Pflegebedürftiger in stationären Pflegeeinrichtungen müssen zunächst die Versorgungssituation analysiert und konkrete Versorgungsdefizite identifiziert werden. Das Projekt leistet hierzu einen zentralen Beitrag und trägt durch die Entwicklung und Pilotierung eines Modellprojekts, das in einem Folgeantrag implementiert und evaluiert werden soll, nachhaltig zur Verbesserung der Bedarfsgerechtigkeit der medizinischen Versorgung in stationären Pflegeeinrichtungen bei.