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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

HELP@APP – Entwicklung und Evaluation einer Selbsthilfe-App für traumatisierte syrische Flüchtlinge in Deutschland

Meeting Abstract

  • Michaela Nagl - Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, Leipzig, Germany
  • Tobias Luck - Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, Leipzig, Germany
  • Anna Renner - Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, Leipzig, Germany
  • Hans-Helmut König - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Germany
  • Anette Kersting - Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, Leipzig, Germany
  • Steffi G. Riedel-Heller - Universität Leipzig, Leipzig, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP217

doi: 10.3205/17dkvf207, urn:nbn:de:0183-17dkvf2073

Published: September 26, 2017

© 2017 Nagl et al.
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Text

Hintergrund: In Deutschland sind Syrerinnen und Syrer die größte Gruppe unter den Geflüchteten. Im Jahr 2016 haben insgesamt 722 370 Personen einen Asylerstantrag in Deutschland gestellt, darunter 266 250 Menschen aus Syrien. Viele Geflüchtete tragen Kriegs- und Gewalterlebnisse bis hin zu Folter in sich und sind nicht nur im Heimatland, sondern auch auf der Flucht und im Ankunftsland oftmals sequentiellen Traumatisierungen ausgesetzt. Diese traumatischen Erfahrungen erhöhen das Risiko, psychisch zu erkranken. Neuere Studien schätzen die Prävalenzrate von PTBS bei syrischen Geflüchteten auf etwa 34%. Zusätzlich müssen sich die Neuankömmlinge in einer für sie völlig fremden Kultur zurechtfinden.

Fragestellung: Ziel des Projektes ist die Entwicklung und Evaluation der Wirksamkeit und der Kosteneffektivität einer arabisch-sprachigen interaktiven Selbsthilfe-App für traumatisierte syrische Geflüchtete in Deutschland.

Methode: Das Projekt gliedert sich in zwei Arbeitspakete. Ziel des ersten Arbeitspaketes ist die Entwicklung einer strukturierten, modular aufgebauten, interaktiven Selbsthilfe-App für arabisch-sprachige Geflüchtete als Hilfe zum Umgang mit psychischen Belastungen, die im Zusammenhang mit Traumatisierung stehen. Die Module der App werden durch interaktive Elemente wie Selbsttests, Verhaltensbeobachtungen, strukturierte Pläne und automatisiertes individuelles Feedback ergänzt. Die Entwicklung der App-Inhalte umfasst mehrere Entwicklungsschritte: a) Durchführung von Fokusgruppen mit Betroffenen, b) Auswahl und Adaptation der Inhalte evidenzbasierter Behandlungsmanuale sowie internetbasierter Selbstmanagement-Programme für die speziellen Bedürfnisse traumatisierter syrischer Geflüchteter in Deutschland sowie für die Integration in eine Selbsthilfe-App, c) mediendidaktische Aufbereitung der App-Inhalte, d) Übersetzung der App-Inhalte in arabische Sprache, sowie e) technische Umsetzung. Ziel des zweiten Arbeitspakets ist die Prüfung der Wirksamkeit und Kosteneffektivität der App im Vergleich zu einer aktiven Kontrollgruppe (KG) im Rahmen einer prospektiven randomisiert-kontrollierten Studie mit drei Messzeitpunkten: vor der Intervention (T0), direkt nach der Intervention (T1, 1 Monat nach Randomisierung), und drei Monate nach der Intervention (T2). Die Interventionsgruppe (IG) erhält dabei vier Wochen lang Zugang zur interaktiven App, während die KG psychoedukativ-informierendes Lesematerial erhält. Primäre Zielgröße ist die posttraumatische Symptomatik, gemessen mit der Posttraumatic Diagnostic Scale (PDS). Als sekundäre Zielgrößen werden Depression und Angst (PHQ-9, GAD-7), Somatisierung (PHQ-15), Lebensqualität (EQ-5D), Selbstwirksamkeit (GSE), wahrgenommene Stigmatisierung (SS/PSS), soziale Unterstützung (BSSS) und Posttraumatisches Wachstum (PGI) erfasst. Nutzerakzeptanz und Nutzerfreundlichkeit der App sind weitere sekundäre Zielgrößen. Der Ressourcenverbrauch hinsichtlich der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen wird mittels eines Kostenbuchs erfasst (bottom-up approach). Dabei werden zur Abschätzung der Kosten die Anzahl ambulanter Arzt- und Therapeutenkontakte sowie Krankenhaustage erfragt. Insgesamt sollen 234 syrische Geflüchtete in die Studie eingeschlossen werden (IG: 117, KG: 117).

Ergebnisse: Die Evaluationsergebnisse werden voraussichtlich im März 2020 vorliegen.

Diskussion: Die Ergebnisse der Studie liefern Evidenz, ob die Selbsthilfe-App bei syrischen Geflüchteten zur einer Verringerung der Belastungen im Zusammenhang mit traumatischen Erlebnissen führt. Darüber hinaus liefern die Ergebnisse Informationen zur Nutzerakzeptanz, der tatsächlichen Nutzung und zur Kosteneffektivität der Selbsthilfe-App.

Praktische Implikationen: Die Selbsthilfe-App kann als niederschwelliges Versorgungsangebot Versorgungsdefizite minimieren und Betroffenen den Einstieg in eine eventuell notwendige Behandlung erleichtern. Da die Selbsthilfe-App in arabischer Sprache entwickelt wird, kann sie zudem einer breiten Zielgruppe traumatisierter Geflüchteter basale Informationen zur Krankheitsbewältigung vermitteln, ohne zusätzliche Dolmetscherkosten zu beanspruchen. Bei positiver Evaluation steht die App nach Abschluss des Projektes zur kostenfreien Nutzung zur Verfügung.