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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Ausmaß und Trends der problematischen Medikation von Benzodiazepinen, Z-Substanzen, Opioid-Analgetika und Antidepressiva bei Kassenpatienten / ProMeKa

Meeting Abstract

  • Sven Buth - Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS), Hamburg, Germany
  • Marcus-Sebastian Martens - Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS), Hamburg, Germany
  • Rüdiger Holzbach - Klinikum Arnsberg - St. Johannes-Hospital, Arnsberg, Germany
  • Uwe Verthein - Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS), Hamburg, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP216

doi: 10.3205/17dkvf206, urn:nbn:de:0183-17dkvf2062

Published: September 26, 2017

© 2017 Buth et al.
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Text

Hintergrund: In Deutschland sind 1,4 bis 2,3 Millionen Menschen von Medikamenten abhängig. Beim weit überwiegenden Teil sind Benzodiazepine [BZD] bzw. Z-Substanzen [ZS] oder Opioid-Analgetika [OA] beteiligt. Probleme mit BZD/ZS finden sich insbesondere unter Älteren, wobei ein Großteil dieser Patienten die Medikamente in geringen Dosen über viele Jahre einnimmt. Ausmaß und Folgen dieser Niedrigdosisabhängigkeit waren bisher kaum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.

Bei OA zählen insbesondere Patienten mit chronischen Schmerzen zur Risikogruppe. Allerdings werden diese Medikamente auch von (jüngeren) Personen missbräuchlich konsumiert, um Rauschzustände zu erzielen. Die pro Jahr verabreichten Tagesdosen von OA sind in der Bundesrepublik seit Jahren ansteigend, ohne das bisher genauer untersucht wurde, welche Patientengruppen hiervon überproportional betroffen sind.

Bezüglich Antidepressiva [AD] ist für die zurückliegenden Jahre eine kontinuierliche Steigerung der verabreichten Tagesdosen festzustellen. Welche Rolle in diesem Zusammenhang eine mögliche Substitution von BZD und anderen Psychopharmaka durch AD spielt und welche Verschreibungsmuster sich hinter diesem Anstieg verbergen, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht fundiert beantworten.

Fragestellung: Wie ist die Verbreitung und welche Entwicklungen zeigen sich hinsichtlich eines leitlinienabweichenden oder auf Langzeitverordnungen beruhenden Verschreibungsverhaltens von BZD, ZS, OA und AD bei gesetzlich versicherten Patienten? Neben der langzeitepidemiologischen Analyse geht es im Besonderen um die Untersuchung der versorgungsrelevanten Phänomene der Niedrigdosisabhängigkeit von BZD/ZS, der missbräuchlichen Einnahme von OA sowie der kontinuierlichen Ausweitung des AD-Gebrauchs. Ferner sollen Risikogruppen mit auffälligen und riskanten Verschreibungsmustern dieser Substanzen identifiziert werden.

Methode: Die Grundlage für die Analysen bildet der Datenexport eines großen Apothekenrechenzentrums, der die kassenärztlichen Verschreibungen der Jahre 2011-2016 von ca. 80% der rund 11 Millionen Einwohner Norddeutschlands enthält. Der Datenexport beinhaltet einen eindeutigen anonymisierten Patientencode, das Alter, die PLZ (erste 4 Stellen) und das Geschlecht. Ferner können in anonymisierter Form der verordnende Arzt (inkl. PLZ, Fachrichtung) und die einlösende Apotheke (inkl. PLZ) bestimmt werden. Zudem sind Abgabetag, Darreichungsform, PZN, ATC-Code, Wirkstoff und Wirkstoffmenge enthalten.

Die Studie beinhaltet Querschnitts- und Längsschnittanalysen in Form von 4 Modulen.

Modul 1: Trends der Verschreibungen von BZD, ZS, OA und AD in den Jahren 2011-2016 unter Berücksichtigung der Einnahmedauer und Dosis (DDDs) differenziert nach Geschlecht, Alter, Region, ärztlicher Fachrichtung; Subanalysen der Identifizierung und Beschreibung von Patientengruppen mit steigenden Prävalenzwerten und/oder Dosierungen.

Modul 2: Prävalenz und Risikofaktoren der verschiedenen Formen des Langzeitgebrauchs von BZD und ZS unter besonderer Berücksichtigung der Niedrigdosisabhängigkeit im Vergleich zu Hochdosierungen sowie intermittierenden Verschreibungsverläufen.

Modul 3: Missbräuchliche Einnahme von OA: a) Entwicklung eines Analyseverfahrens zur Identifizierung von Patienten mit einer nicht bestimmungsgemäßen Einnahme; b) Ermittlung von Risikofaktoren für missbräuchlichen Konsum; c) Vormedikation von OA-Missbrauchern.

Modul 4: „Epidemischer“ Gebrauch von AD: a) Untersuchung möglicher Ursachen (z.B. Trend zur Dauermedikation, Substitution von BZD) und Folgen (z.B. intensivierte Komedikation, Umstieg auf Medikamente mit Abhängigkeitspotential); b) Analysen zur Entwicklung der verschiedenen AD-Arten.

Ergebnisse: Das Projekt hat Anfang 2017 begonnen. Ergebnisse liegen noch nicht vor.

Diskussion: Menschen mit einem problematischen Medikamentenkonsum nehmen nur selten Angebote des Suchthilfesystems in Anspruch. Offensichtlich fühlen sich viele Betroffene von den vorgehaltenen Hilfen nicht ausreichend angesprochen, sei es aus mangelnder Problemwahrnehmung oder aufgrund fehlender Passung der bestehenden Angebote. Um eine bessere, d.h. insbesondere zielgruppenspezifischere Versorgung zu ermöglichen, ist die Identifizierung von Risikogruppen unerlässlich. GKV-Rezeptdaten eignen sich hierfür in besonderem Maße, da sie die Bevölkerung in ihrer Gesamtheit einschließen (mit Ausnahme der Privatversicherten) und aufgrund der hohen Fallzahl auch valide und differenzierte Analysen von anteilsbezogen kleinen Subgruppen ermöglichen.

Praktische Implikationen: Mit Hilfe des vorliegenden Projekts werden erstmals empirisch gesicherte Erkenntnisse zu den oben skizzierten Forschungsfragen vorliegen, auf deren Basis Präventions- und Hilfsangebote sowie mögliche (Um-)Steuerungsmaßnahmen entwickelt und angewendet werden können.