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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Die Auswirkungen einer erhöhten Anwendungsrate der subkutanen spezifischen Immuntherapie bei allergischen Atemwegserkrankungen – eine entscheidungsanalytische Modellierung

Meeting Abstract

  • Ann-Kathrin Weschenfelder - Universität Duisburg-Essen, Essen, Germany
  • Ludger Klimek - Zentrum für Rhinologie und Allergologie, Wiesbaden, Germany
  • Hans Merk - Uniklinik RWTH Aachen, Aachen, Germany
  • Norbert Mülleneisen - Asthma und Allergiezentrum Leverkusen, Leverkusen, Germany
  • Harald Renz - Philipps-Universität Marburg, Marburg, Germany
  • Wolfgang Wehrmann - Dermatologische Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. med. Wehrmann & Dr. med. Rödder-Wehrmann, Münster, Germany
  • Thomas Werfel - Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Germany
  • Eckard Hamelmann - Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Germany
  • Uwe Siebert - UMIT Private Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik, Hall in Tirol, Austria
  • Gaby Sroczynski - UMIT Private Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik, Hall in Tirol, Austria
  • Jürgen Wasem - Universität Duisburg-Essen, Essen, Germany
  • Janine Biermann - Universität Duisburg-Essen, Essen, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV105

doi: 10.3205/17dkvf110, urn:nbn:de:0183-17dkvf1103

Published: September 26, 2017

© 2017 Weschenfelder et al.
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Hintergrund: Die spezifische Immuntherapie stellt bei allergischen Atemwegserkrankungen die einzige kausale Therapie dar. Eine abrechnungsdaten-basierte Studie zeigte, dass ca. 7% der Patienten mit allergischen Atemwegserkrankungen eine subkutane Immuntherapie (SCIT) durchführen. Der Anteil der für eine SCIT geeigneten Patienten wird jedoch höher eingeschätzt.

Fragestellung: Basierend auf einem entscheidungsanalytischen Modell werden im Rahmen einer Kosten-Nutzwert-Analyse die Effekte einer erhöhten Applikationsrate der SCIT untersucht.

Methode: Der Anteil der für die SCIT geeigneten Patienten wird mittels leitlinienbasierter Indikationskriterien und deren in der Literatur berichteten Häufigkeiten bestimmt. Der Krankheitsverlauf der für die SCIT geeigneten Patienten wird an Hand eines Zustand-Übergangs-Modells durch folgende nach Therapiestatus (symptomatische Pharmakotherapie alleine oder mit ergänzender SCIT) differenzierte Gesundheitszustände abgebildet: Rhinitis, Asthma, beide Erkrankungen, symptomfrei, Tod. Der Zeithorizont beträgt 10 Jahre bei einjähriger Zykluslänge. Die Übergangswahrscheinlichkeiten entstammen einer Routinedatenanalyse, während die Behandlungseffekte der SCIT aus der Literatur abgeleitet werden. Zur Ermittlung der Kosten aus gesellschaftlicher Perspektive wird der Ressourcenverbrauch literaturbasiert ermittelt und mit Standardpreisen nach Bock et al. (2015) bewertet. Der Nutzwertgewinn durch die SCIT wird durch Übertragung einer per Metaanalyse generierten mittleren Differenz krankheitsspezifischer Lebensqualitäts-Scores auf EQ-5D Nutzwerte berechnet. Das Modell wird für zwei Szenarien verglichen: Szenario mit erhöhter Anwendungsrate (alle Patienten erhalten eine SCIT) und Status Quo Szenario (routinedaten-basierte Behandlungsraten). Im Rahmen von Sensitivitätsanalysen werden folgende Parameter variiert: Anteil SCIT-geeigneter Patienten, Ausgangsverteilung der Erkrankungsgruppen, Abbruchraten, Behandlungseffekte der SCIT, Kosten, Nutzwerte und Diskontierung (3% im Basisfall). Zudem werden in weiteren Analysen der Einschluss von Produktivitätsverlust durch Präsentismus und eine Annäherung an die GKV-Perspektive durch Ausschluss der indirekten Kosten berücksichtigt.

Ergebnisse: Im Basisfall weist die Kohorte im Szenario mit erhöhten Behandlungsraten nach 10 Jahren eine vorteilhaftere Verteilung auf die Gesundheitszustände auf, da mehr Patienten symptomfrei sind und weniger Patienten an Asthma oder beiden Erkrankungen leiden. Zudem befinden sich mehr Patienten in SCIT Zuständen als im Status Quo (10% vs. 7%), was bedeutet, dass diese Patienten weiter von den Effekten der SCIT profitieren. Dabei beträgt die Incremental Cost-Effectiveness Ratio (ICER) 3.484 €/ QALY womit erhöhte Behandlungsraten gegenüber dem Status Quo kosteneffektiv sind. Im zusammengefassten Worst Case über alle Parametervariationen ergibt sich ein erhöhtes ICER von 34.315 €/ QALY, während der Best Case über alle Parameter zu Dominanz der erhöhten Behandlungsraten führt (Kosteneinsparung mit QALY-Gewinn). Berücksichtigt man unter Basisfallbedingungen zusätzlich den Produktivitätsverlust durch Präsentismus wird das ICER ebenfalls dominant. Unter Ausschluss der indirekten Kosten hingegen liegt das ICER bei 9.695 €/ QALY.

Diskussion: Die generellen Einschränkungen bei Modellierungen liegen in der der Vereinfachung der Realität und der Notwendigkeit von Annahmen auf Grund imperfekter Information. Trotz dieser Einschränkungen wird im vorliegenden Modell der Erkrankungs- und Therapieverlauf detailliert und basierend auf der aktuell verfügbaren Evidenz dargestellt. Eine relevante Unsicherheit besteht bezüglich der Behandlungseffekte der SCIT auf die Übergangswahrscheinlichkeiten, da hier nur wenige geeignete Studien zur Verfügung standen, die nicht alle Übergänge abdecken. Auch die durch Übertragung der Veränderung von nicht-präferenzbasierten Lebensqualitätsinstrumenten auf präferenzbasierte Nutzwerte bildet höchstwahrscheinlich nicht die tatsächlichen Nutzwerte ab, spiegelt. Das Verhältnis zwischen Patienten mit und ohne SCIT wird jedoch zuverlässig abgebildet, womit sich die Werte für den Vergleich der Beiden analysierten Szenarien eignen. Zusammenfassend zeigt sich eine Erhöhung der Behandlungsraten der SCIT bei allergischen Atemwegserkrankungen als kosten-effektiv.

Praktische Implikationen: Zukünftige Forschungsvorhaben sollten die Gründe für die aktuell niedrigen Behandlungsraten der SCIT untersuchen. Dabei sollten gezielt die Unterscheide zwischen den Erkrankungsgruppen und den verschiedenen am Versorgungsprozess Beteiligten berücksichtigt werden. Auf dieser Grundlage können Maßnahmen zur Erhöhung der Anwendungsrate der SCIT bei allergischen Atemwegserkrankungen und damit auch zur Verbesserung der Versorgung dieser Patienten entwickelt werden. Eine Senkung der Abbruchraten verbessert dabei die Kosteneffektivität der SCIT erheblich.