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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Pilotstudie zur zahnärztlichen Betreuung von Pflegeeinrichtungen nach Einführung von Kooperationsverträgen gemäß §119b SGB V

Meeting Abstract

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  • Frank Oberzaucher - Universität Konstanz, Konstanz, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV188

doi: 10.3205/17dkvf094, urn:nbn:de:0183-17dkvf0946

Published: September 26, 2017

© 2017 Oberzaucher.
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Der Beitrag beschäftigt sich mit den Ergebnissen, der im Rahmen der Nachwuchsakademie Versorgungsforschung BW geförderten Pilotstudie zur zahnärztlichen Betreuung von Pflegeeinrichtungen nach Einführung von Kooperationsverträgen. Neben den Fragestellungen der Pilotstudie werden ebenfalls Überlegungen diskutiert, die insbesondere die Zusammenarbeit sowie die Arbeitsteilung von Zahnärztinnen und Zahnärzten mit Pflegekräften in Pflegeeinrichtungen in den Blick nehmen.

Hintergrund: Bei Bewohnerinnen und Bewohnern in stationären Pflegeeinrichtungen sind fast die Hälfte der vorhandenen Zähne kariös bzw. zerstört.

Seit 2014 besteht eine Rahmenvereinbarung zwischen der KZBV und dem GKV Spitzenverband zur Umsetzung der gesetzlichen Regelungen nach §119b SGB V. Zahnärztinnen und Zahnärzte haben seither die Möglichkeit, Kooperationsverträge mit stationären Pflegeeinrichtungen zu schließen. Seit Inkrafttreten der Rahmenvereinbarung haben viele Pflegeeinrichtungen bereits Verträge mit Zahnärztinnen und Zahnärzten abgeschlossen. Über den Erfolg dieses neuen Betreuungskonzeptes war bislang nichts bekannt, dieser wurde in der Pilotstudie untersucht.

Fragestellung: Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses steht die Frage nach der realistischen Umsetzbarkeit der interprofessionellen Zusammenarbeit und deren Konsequenzen für die Beteiligten. Sind die vorgesehenen Kooperationsmaßnahmen praktisch umsetzbar? Lassen sich die vorgesehenen Maßnahmen mit den bestehenden standardisierten Aufgaben der Pflegekräfte hinsichtlich der Mundhygiene sinnvoll kombinieren?

Methodisches Vorgehen: Hauptziel des Projekts ist die systematische Erhebung und Auswertung der über Fokusgruppen generierten Erfahrungen der an der Umsetzung des neuen Betreuungskonzeptes beteiligten Zahnärztinnen/Zahnärzte und Pflegekräfte. Damit verbundene Nebenziele sind die Planung, Durchführung und konversationsanalytische Auswertung von Fokusgruppen, sowie diesen vorausgehenden fokussierten ethnografischen Erkundungen, die Evaluierung des bislang gültigen Vertragswerks sowie der Umsetzung des neuen Betreuungskonzepts und die Formulierung von Anregungen zur Verbesserung des Vertragswerks.

Das Projekt verlangt ein qualitatives Forschungsdesign. Es wurde eine fokussierte Ethnografie (Knoblauch 2001), d.h. zwei kurzzeitige Aufenthalte in Pflegeeinrichtungen sowie insgesamt sechs Fokusgruppengespräche (Wolff/Puchta 2007) und vier Einzelinterviews in Räumlichkeiten der Kooperationspartner sowie in unterschiedlichen Pflegeeinrichtungen durchgeführt.

Das Datenmaterial umfasst Audioaufnahmen, Transkriptionen, Feldnotizen, Beobachtungsprotokolle und Interviewtranskripte. Die Auswertung der Daten erfolgte nach den Prinzipien der Konversationsanalyse im Rahmen von sogenannten Datensitzungen.

Ergebnisse (ein Auszug): Mit den im Kooperationsvertrag vorgesehenen Maßnahmen zur Betreuung von Bewohnerinnen und Bewohnern einer Pflegeeinrichtung ergaben sich verschiedene Umsetzungsanforderungen.

Die Zahnpflege scheint immer noch ein „Stiefkind der Altenpflege“ zu sein. Die Zeitvorgaben für pflegerische Aktivitäten sind zu knapp bemessen, weshalb für die Zahnpflege der Bewohnerinnen und Bewohner im Zweifel wenig Rücksicht genommen wird. Für einen reibungslosen Ablauf bedarf es zudem einer regelmäßigen Kommunikation zwischen Kooperationszahnarzt und Ansprechpartnern in den Pflegeeinrichtungen.

Die im Kooperationsvertrag festgesetzten Schulungen für Pflegekräfte stoßen auf positive Resonanz. Nicht zuletzt aufgrund der hohen Fluktuation des Pflegepersonals in den Pflegeeinrichtungen sind regelmäßige Schulungsmaßnahmen unerlässlich. Der damit verbundene Mehraufwand für die Pflegekräfte lohnt sich: Die Bewohnerinnen und Bewohner haben eine deutlich verbesserte Mundgesundheit und erlangen dadurch eine Zunahme an Lebensqualität, die sich wiederum positiv auf die psychosoziale Situation der Bewohnerinnen und Bewohner auswirkt. Insgesamt profitieren beide Partner des Kooperationsvertrags.

Diskussion und praktische Implikationen: Gerade der Umgang mit Demenzkranken erfordert ausgewählte Techniken, wie beispielsweise basale und orale Stimulationen, weshalb Pflegekräfte mehr Zeit in die Zahnpflege investieren müssten. Um dies gewährleisten zu können, sollte jedoch der Umfang und die Qualität zahnmedizinischer Themen in der Aus- und Weiterbildung von Pflegekräften wesentlich erhöht werden. Die Untersuchung zeigt auch, dass die Attraktivität des Pflegeberufs, beispielsweise über finanzielle Anreize, gesteigert werden müsste. Nur so können die hohe Fluktuation des Pflegepersonals sowie der Personalmangel gestoppt werden.

Zu beobachten ist ebenfalls, dass die Zusammenarbeit zwischen Zahnärztinnen/Zahnärzten und Pflegekräften ganz wesentlich vom Erfahrungsschatz der Pflegekräfte im Umgang mit demenziell erkrankten Bewohnerinnen und Bewohnern profitiert. Hierbei können Pflegekräfte gegenüber Zahnärzten als Experten auftreten und das klassische Hierarchiegefälle abbauen.