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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Memorandum Kap 3: Evaluation und Implementation komplexer Interventionen in Versorgungsorganisationen

Meeting Abstract

  • Markus Antonius Wirtz - Pädagogische Hochschule Freiburg, Freiburg, Germany
  • Eva-Maria Bitzer - Pädagogische Hochschule Freiburg, Freiburg, Germany
  • Ute-Susann Albert - Krankenhaus Nordwest, Frankfurt, Germany
  • Lena Ansmann - Universität zu Köln, Köln, Germany
  • Martina Bögel - Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM), Schwalmstadt-Treysa, Germany
  • Nicole Ernstmann - Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Germany
  • Marina Nowak - Universität zu Köln, Köln, Germany
  • Horst Christian Vollmar - Universitätsklinikum Jena, Friedrich-Schiller-Universität, Jena, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV134

doi: 10.3205/17dkvf090, urn:nbn:de:0183-17dkvf0906

Published: September 26, 2017

© 2017 Wirtz et al.
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Text

Hintergrund: Die Entwicklung, Bewertung und Nutzbarmachung von Maßnahmen sind zentrale Themen der Interventionsforschung. Besondere Herausforderungen ergeben sich für die Evaluation in Versorgungsinstitutionen, da diese Interventionen in der Regel als ‚komplex‘ anzusehen sind: sie bestehen aus miteinander interagierenden Teilkomponenten, mehrere Akteure sind beteiligt und mehrere organisationale Ebenen (Mikro, Meso, Makro) und interdependente Zielkriterien müssen berücksichtigt werden. Ausgehend vom Memoradum des DNVF (Pfaff, Albert et al., 2009) sind Anpassungen der Kriterien für eine angemessene Methodenpraxis erforderlich.

Fragestellung: Welche aktuellen Standards müssen bei der Konzeption, Bewertung und Implementierung von Interventionen in der Versorgungsforschung berücksichtigt werden, damit diese ihre Wirksamkeit für Patienten im Versorgungsalltag voll entfalten können?

Methode: Die DNVF-AG Organisationsbezogene Versorgungsforschung startete 2016 eine Initiative, in der Expertinnen und Experten die in den Memoranden von 2009 formulierten Standards für Interventionen literaturbasiert erweitern und weiterentwickeln.

Ergebnisse: Das Modell zur Evaluation komplexer Interventionen von Campbell et al. (2000; Craig et al. 2008) dient als Ausgangpunkt für die Analyse der Konzeption, der struktur-, prozess- und ergebnisbezogenen Wirkungen komplexer Interventionen sowie deren Implementierung in den Versorgungsalltag. Das Modell unterscheidet die Phasen der (1) Theoriebildung, (2) Modellierung (Analyse des Ist-Zustands und Identifikation elementarer Interventionskomponenten), (3) exploratorischen Prüfungen, (4) Wirksamkeitsprüfung und (5) Langzeitimplementierung. Evaluation wird als Instrument aufgefasst, um auf möglichst belastbarem Wissen basierende maßgeschneiderte Interventionsprogramme zu entwickeln, deren Wirkprinzipien - ausgehend von einer Problemanalyse – in einer Programmtheorie dokumentiert werden. Überlegungen zur Implementierunf sind in allen Phasen des Modells zu integrieren.

Neben Evaluationsstandards müssen von Standards der Implementierungsforschung (Pinnock et al., 2017) systematisch berücksichtigt werden. Es sollte ein Implementierung-modell entwickelt werden, das die Erfordernisse und Determinanten einer erfolgreichen Implementation in den Versorgungsalltag mit dem Ziel des bestmöglichen Patientennutzens berücksichtigt. Als integrative Systematik sollten in der organisationsbezogenen Versorgungsforschung drei Studienbereiche unterschieden werden:

(1) Interventionsdesign: Empiriebasierte, systematische Entwicklungen neuer Inter-ventionselemente bzw. Interventionen (Konzeption)

(2) Wirksamkeitsprüfung: Nach Abschluss einer fundierten Entwicklungsphase erfolgt hier die Prüfung der gesundheitsbezogenen Effekte und des Nutzens von Interventionen. Ziel ist es, orientiert an der Evidenzhierarchie belastbares Wissen zu den gesundheitsbezogenen Effekten von Interventionen zu generieren (Ergebnisevaluation, summative Evaluation).

(3) Intervention-Tailoring: Entwicklung und Analyse von Interventions- und Kontext-merkmalen, die die Wahrscheinlichkeit für die bestmögliche Implementierung einer als als wirksam nachgewiesenen Intervention in den Versorgungsalltag erhöhen (Struktur- und Prozessevaluation, praxisgerechte Implementierung)

Die hieraus erwachsenden Anforderungen an eine gute wissenschaftliche Praxis für die Konzeption, Evaluation und Implementierung von Innovationen in der Versorgungsforschung werden an Beispielszenarien dargestellt.

Diskussion: Die Vereinbarung und Etablierung von Kriterien und Standards wissenschaftlicher Versorgungsforschung stellen aufgrund des interdisziplinären und umfassenden Anspruchs der Disziplin eine große Herausforderung dar: Zum einen muss klar definiert erkennbar bleiben, wann Forschung als wissenschaftlich adäquat angesehen werden kann, zum anderen müssen Methoden dem spezifischen Forschungsgegenstand gemäß ausgewählt und ggf. adaptiert werden. Ausgehend von Modellen werden zentrale Unterscheidungsmerkmale geklärt und Prinzipien benannt, deren Bezug zu forschungspraktischem Handeln hergestellt wird.

Praktische Implikationen: Die Neuversion des Memorandums der Organisationsbezogenen Versorgungsforschung und die Bereitstellung von Kriterien- und Checklisten tragen zu einer Klärung und Verbesserung der Praxis der Versorgungforschung bei. Die evidenzbasierten Versorgungspraxis kann durch die systematische Erweiterung des Fokus der Evaluation auf die Erforschung der Anforderungen und Bedingungen, die die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Implementatierung erhöhen, verbessert werden: Dass wirksame Interventionen auch tatsächliche den Patienten im Versorgungsalltag zu Gute kommen, wird hierdurch als zentraler Anspruch an eine evidenzbasierte Versorgungspraxis hervorgehoben.