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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Versorgungskonzept initiative.ruecken auf dem Prüfstand – randomisierte kontrollierte Studie unter Versicherten einer PKV mit anhaltenden Rückenschmerzen

Meeting Abstract

  • Angelika Hüppe - Universität Lübeck, Lübeck, Germany
  • Martin Hochheim - Köln, Germany
  • Andrea Mirbach - Köln, Germany
  • Max Wunderlich - Köln, Germany
  • Heiner Raspe - Münster, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV113

doi: 10.3205/17dkvf068, urn:nbn:de:0183-17dkvf0683

Published: September 26, 2017

© 2017 Hüppe et al.
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Text

Hintergrund: Anhaltende Rückenschmerzen (RS) beeinträchtigen Betroffene körperlich wie psychisch in vielfältiger Weise. Sie verursachen hohe indirekte hohe Kosten durch Arbeitsausfall und Frühberentung Die Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz gibt Empfehlungen für eine evidenzbasierte Versorgung. Um den Zugang zu einer leitliniengerechten Behandlung zu bahnen, entwickelte die Central Krankenversicherung für ihre Versicherten das Versorgungskonzept initiative.ruecken. Wirksamkeit und Nutzen dieses proaktiv angebotenen integrativen Behandlungskonzeptes sollten wissenschaftlich evaluiert werden.

Methodik: Die Krankenkasse identifizierte in ihrer Datenbank volljährige Vollversicherte mit Hinweisen auf chronische oder chronifizierende RS. Einschlusskriterien waren > 2 Abrechnungsdaten mit den ICD-10 Diagnosen M40-54 in den letzten 12 Monaten zusammen mit > 1 Arbeitsunfähigkeitsfall (alternativ > 2 Opioidverordnungen oder > 1 Abrechnung zu ausgewählten psychischen Beeinträchtigungen (z.B. F32 depressive Episode, F45.4 anhaltende Schmerzstörung). Kein Einschluss erfolgte bei Abrechnungsdaten zu Erkrankungen wie Entzündungen des ZNS, Karzinome, Schlaganfall u.a. Geeignete Versicherte wurden extern im Verhältnis 4:3 auf IG und KG randomisiert. Nur die IG wurde zur Teilnahme am Programm initiative.rücken eingeladen und willigte wie die KG in Online-Befragungen zu Rückenbeschwerden ein. Das Versorgungskonzept kombiniert medizinische Trainingstherapie (FPZ Konzept) mit Telefon-Coaching. Ein Jahr nach der Baseline-Erhebung erfolgte eine erneute Befragung. Primäre Zielparameter sind RS-Schweregrad (nach v. Korff) und gesundheitsbezogene Lebensqualität (SF12). Zu den sekundäre Outcomes zählen psychische Belastung (PHQ-4), Chronifizierungsrisiko (STarT Back Tool) und körperliche Aktivität. Verglichen wurden die beiden Studiengruppen mittels Propensity Score Matching (PSM) (Zuordnungsalgorithmus Nearest Neighbour ohne Zurücklegen). Eine Alpha-Fehler-Adjustierung erfolgte nach Holm-Bonferroni. Für Mittelwertsunterschiede wurde die Effektstärke d nach Cohen berechnet (mit gepoolter Standardabweichung).

Ergebnisse: 3462 Versicherte wurden identifiziert, randomisiert und angeschrieben. Unter den 540 in die Studie eingeschlossenen Versicherten zeigte knapp die Hälfte beeinträchtigende RS vom Schweregrad III oder IV (IG:54 %; KG:42%). An der 12 Monatsbefragung nahmen in der IG 127 von 252, in der KG 238 von 288 eingeschlossenen Versicherten teil. Die Teilnehmer am Einjahres-Follow-up unterschieden sich zu Studienbeginn: Die IG zeigte schlechtere Werte im SF-12, ein höheres Chronifizierungsrisiko und eine geringere Zufriedenheit mit der RS-Versorgung als die KG. Mit Hilfe des PSM wurden 114 Paare aus IG- und KG-Mitgliedern gebildet, die sich in den erfassten Parametern bei Studieneinschluss nicht unterscheiden. Obwohl in der IG jeder Fünfte doch nicht am Programm teilnahm oder es vorzeitig abbrach, erzielt die IG zur 12 Monatsbefragung im Unterschied zur KG eine geringere Schmerzintensität (41,0 vs 47,6; p=0,011, d=0,34) und Beeinträchtigung (29,1 vs 38,0; p=0,005; d=0,37). Die IG erreicht bessere Werte in der körperlichen Summenskala des SF12 (42,6 vs 37,9; p<0,001; d=0,47), kein überzufälliger Unterschied zeigt sich bei der psychischen Summenskala (45,4 vs 48,0; p=0,099). Desweiteren ist das RS-Chronifizierungsrisiko ebenso wie die psychische Belastung in der IG geringer als in der KG (STarT-Gesamtscore: 2,4 vs 3,6, p<0,001; d=0,52; PHQ-4: 2,7 vs 3,6; p=0,013; d=0,33). Die IG beschreibt sich zudem als körperlich aktiver als die KG, sie nutzt häufiger aktive (68 % vs 44 %) und seltener (45 % vs 79 %) passive rückenspezifische Behandlungsangebote.

Diskussion: In der Gruppe der analysierten Studienteilnehmer erweist sich das Behandlungskonzept in den meisten Zielparametern als erfolgreich, dabei werden Effekte von kleiner bis mittlerer Größenordnung erreicht. Mit differierenden Partizipationsraten in IG und KG sowie Baseline-Unterschieden zeigen sich die Schwächen einer Randomisierung nach Zelen. Das PSM stellt eine Möglichkeit dar, mit ihnen umzugehen. Das proaktive Zugehen der Krankenkasse auf ihre Versicherten mit dem Angebot der Teilnahme an einem komplexen Behandlungsprogramm stößt bei einer kleinen Gruppe auf Interesse. Nicht alle beenden das Programm, ein häufig genannter Abbruchgrund ist schlechte Erreichbarkeit der Therapiezentren. Ob sich der Aufwand aus Sicht der Kostenträger lohnt, wird sich auf der Basis einer noch ausstehenden Analyse der Kostendaten besser einschätzen lassen.

Praktische Implikationen: Programme zur Verbesserung der Versorgung von Versicherten werden zu oft ohne begleitende wissenschaftliche Evaluierung eingeführt. Für Wirksamkeit und Nutzen des Programmes initiative.ruecken findet sich unter Versicherten, die das Angebot freiwillig wahrnahmen, in zentralen patientenberichteten Outcomes belastbare Evidenz, die eine Fortführung nahelegt.