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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Implementierung und Evaluation einer Intervention zur Verbesserung der medizinischen Versorgung Wohnungsloser – Studienprotokoll und erste Ergebnisse

Meeting Abstract

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  • Kathrin Woitha - Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg, Germany
  • Erik Farin-Glattacker - Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV206

doi: 10.3205/17dkvf061, urn:nbn:de:0183-17dkvf0612

Published: September 26, 2017

© 2017 Woitha et al.
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Hintergrund: Der allgemeine Gesundheitszustand wohnungsloser Menschen ist schlecht. Nicht selten sind Wohnungslose von einer erhöhten Multimorbidität betroffen, was mitunter zu einem mittleren Sterbealter von 44,5 Jahren führt. Ursächlich dafür ist das Leben auf der Straße mit bestimmten Faktoren, wie Witterung, ungenügender Schlaf, mangelnde Hygiene, schlechte Ernährung, psychische oder Suchterkrankungen, aber auch soziale Einflüsse, wie fehlende Beziehungen, Gewalterfahrungen und unterbrochene Bildungs- und Berufsbiographien. Die medizinische Behandlung der wohnungslosen Menschen ist dadurch charakterisiert, dass es Zeit braucht bis ausreichend Vertrauen aufgebaut ist und z.B. auch ein Arztkontakt zu Stande kommt. Die Versorgung der Betroffenen findet häufig in ihrem Lebensumfeld, d.h. auf der Straße, statt. Selten werden die Patienten ein zweites Mal in der Praxis gesehen und nur vereinzelt kommt es zu einer erfolgreichen Vermittlung an einen weiterbehandelnden Arzt. Bei wohnungslosen und von Wohnungslosigkeit gefährdeten Menschen bestehen auch bei vorhandener Krankenversicherung Barrieren, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Fragestellung: Im Rahmen eines vom Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg initiierten Modellprojekts wird versucht, über ein niederschwelliges Angebot ärztlicher Sprechstunden einen Beitrag zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung dieser vulnerablen Gruppe zu leisten. Ziel des Modellprojekts, welches Anfang 2017 startete, ist es, den Zielpersonen einen Zugang zu den bestehenden Angeboten der medizinischen Regelversorgung zu ermöglichen und sie dauerhaft dort zu integrieren. An neun Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe im Land Baden-Württemberg werden regelmäßige ärztliche Sprechstunden angeboten und dadurch eine allgemein-medizinische Grund- und Erstversorgung der Betroffenen sichergestellt. Die wissenschaftliche Evaluation erfolgt mittels einer formativen Prozess- und einer summativen Ergebnisevaluation, was den Empfehlungen bei der Evaluation komplexer Interventionen entspricht. Untersucht wird, ob es gelingt, die Zielgruppe zu erreichen, wie Nutzer und beteiligte Einrichtungen das Angebot bewerten und inwieweit die Reintegration in die gesundheitliche Regelversorgung erreicht wird.

Methode: Mit einem mehrperspektivischen partizipativen Ansatz wird auf der Grundlage qualitativer und quantitativer Methoden (Mixed-Methods) eine Feldstudie durchgeführt, die die Wohnungs-losen, ihre Behandler in den Einrichtungen und Nachbehandler einbezieht.

Aufgeteilt ist die Studie in drei Bausteine:

  • Evaluationsbaustein 1: Deskription der Umsetzung des Modellprojekts
  • Evaluationsbaustein 2: Evaluation der Prozesse und der kurzfristigen Ergebnisse
  • Evaluationsbaustein 3: Evaluation mittel- und langfristiger Ergebnisse

Der Datenzugang erfolgt über die Mitarbeiter in den Einrichtungen, die Wohnungslosen, und die Nachbehandler. Für jeden Patienten wird ein Patienten-Dokumentationsbogen eingesetzt, der die relevanten soziodemographischen, versorgungsbezogenen und medizinischen Merkmale der Nutzer erfasst. Allen Nutzern wird ein kurzer Fragebogen vorgelegt, mit dem das Angebot bewertet wird. Außerdem werden die Mitarbeiter der Einrichtungen, ausgewählte Wohnungslose und Vertreter der beteiligten Stadt- und Landkreise interviewt. Den häufigsten Nachbehandlern wird ein Fragebogen zugesandt, der nach der Wahrnehmung des Nutzens, der Arbeitsweise und der Vernetzung der Beratungsstelle in der Region fragt.

Zu erwartende Ergebnisse: Das Projekt wird u.a. Antworten auf folgende Fragen liefern:

  • Wie setzt sich die Gruppe der betreuten wohnungslosen Menschen hinsichtlich soziodemographischer, medizinischer und versorgungsbezogener Merkmale zusammen?
  • Inwieweit wird die Zielgruppe erreicht? Welche Barrieren und förderlichen Faktoren bestehen aus Sicht des Befragten?
  • Wie gut funktionieren die auf das neue Angebot bezogenen Arbeitsprozesse in den Einrichtungen? Wo bestehen Probleme? Worauf sind diese vermutlich zurückzuführen?
  • Inwieweit wird das Angebot von den Nutzern akzeptiert?
  • Welchen Nutzen und Erfolg nehmen Wohnungslose, Behandler und beteiligte Stadt- und Landkreise wahr?
  • Erfolgte eine Vermittlung in die medizinische Regelversorgung? Wie gut verlief dieser Übergang? Wie nehmen die Nachbehandler in der Regelversorgung den Nutzen des neuen Angebots wahr?
  • Wie viele Klienten können eine Versichertenkarte vorweisen? In wie vielen Fällen ist zunächst eine Finanzierung über den Sozialhilfeträger erforderlich und wie stellte sich in diesen Fällen das Verfahren dar?

Diskussion und praktische Implikationen: Die abschließende Auswertung und Berichterstellung wird neben den evaluativen Daten Barrieren und Förderfaktoren einer erfolgreichen Umsetzung beschreiben und darauf basierend Empfehlungen zur Optimierung derartiger Versorgungsmodelle aussprechen.