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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Patientensicherheit als System – die Modellbildung und Simulation von medizinischen Aufgaben für eine prospektive Analyse des Fehlerrisikos

Meeting Abstract

  • Thomas Schrader - Technische Hochschule Brandenburg, Brandenburg, Germany
  • Katharina Löwe - Technische Hochschule Brandenburg, Brandenburg, Germany
  • Laura Tetzlaff - Technische Hochschule Brandenburg, Brandenburg an der Havel, Germany
  • Cornelia Schröder - Technische Hochschule Brandenburg, Brandenburg, Germany
  • Eberhard Beck - Technische Hochschule Brandenburg, Brandenburg, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV203

doi: 10.3205/17dkvf058, urn:nbn:de:0183-17dkvf0589

Published: September 26, 2017

© 2017 Schrader et al.
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Hintergrund: Die prospektive Risikoanalyse ist in der Technik längst Standard. In medizinischen Prozessen ist diese nicht verbreitet. Um Prozesse hinsichtlich ihrer Risiken vor Auftreten von Fehlern zu untersuchen, stehen wenige Methoden zur Verfügung: HAZOP, FRAM und FMEA. HAZOP, in Deutschland unter PAAG (Prognose, Auffinden der Ursache, Abschätzen der Auswirkungen, Gegenmaßnahmen) bekannt, ist gut geeignet stabile Prozeduren (wie in Laboren) hinsichtlich der Risiken zu analysieren. Mit FRAM (Functional Resonance Analysis Method) lassen sich komplexere medizinische Prozesse untersuchen und FMEA wird bei der Entwicklung von Geräten und Abläufen verwendet. Die drei Verfahren erlauben keine Simulation von Prozessen. Das Open-Process-Task-Modell (OPT-Modell) wurde 2014 zur Beschreibung von medizinischen Aufgaben und Prozessen publiziert. Es basiert auf dem allgemeinen Modell zur Beschreibung von Systemen, dem Input-Process-Output-Modell, kombiniert auf der Analysestrategie von HAZOP mit der Verwendung von Schlüsselwörterlisten und der systemanalytischen Sichtweise von SEIPS (Systems Engineers in Patient Safety). Kernpunkt ist, dass die Eigenschaften von Aufgaben systematisch mit Attributen beschrieben werden. Diese werden mittels Komplexitätsgraden gewichtet.

Fragestellung: Das OPT-Modell ordnet die Eigenschaften einer Aufgabe entweder den Anforderungen oder den Lösungsmöglichkeiten zu: Ein Patient mit einer bestimmten Erkrankung und mit einer aus verschiedenen Teilen bestehenden Dokumentation stellt für die medizinische Einrichtung und das jeweilige Team eine Herausforderung dar. Den Anforderungen stehen Lösungskapazitäten zur Verfügung: Ausbildungsstand des Teams, medizinische Geräte, SOP’s und weiteres. Eine Besonderheit von medizinischen Prozessen ist die hohe Variabilität der Anforderungen und eine deutliche Variabilität der Lösungskapazitäten. In der Studie soll ein Modell entwickelt werden, welches in der Lage ist, diese Variabilität aggregiert zu simulieren und grafisch zu visualisieren. Aus dem Verhältnis von Anforderungen und Lösungskapazitäten lassen sich Verteilungen ermitteln. Ist die Lösungskapazität eingeschränkt, ist das Auftreten von Fehlern mit Folgeschäden wahrscheinlich.

Methode: Die Modellentwicklung basiert auf der Monte-Carlo-Methode: es werden Zufallsereignisse erzeugt, deren Häufigkeit auf den gegebenen Wahrscheinlichkeiten beruhen. Angewandt auf die Modellierung von Aufgaben mit ihren Anforderungen und Möglichkeiten kann sowohl die Variabilität der Anforderungen als auch die Variabilität der Lösungsmöglichkeiten simuliert werden. Ein einzelnes Ereignis entspricht einer bestimmten Aufgabe und dabei treffen in einer konkreten Ausprägung Anforderungen auf Lösungsmöglichkeiten. Das Verhältnis von Anforderungen und Lösungsmöglichkeiten kann erstmals mathematisch untersucht werden. Für die Entwicklung wurde Python 3.6 verwendet.

Ergebnisse: Das Simulationsmodell besteht aus mehreren Komponenten: Für die Simulation werden die Verteilungen der Eigenschaften der Aufgabe bezüglich der Anforderungen und Lösungsmöglichkeiten modelliert. Dabei können Angaben aus der Literatur, aus Befragungen oder theoretische Verteilungen verwendet werden. Es wurden vier grundlegende Verteilungen implementiert: die Binominalverteilung, die uniforme Verteilung, die Normalverteilung und Betaverteilung. Letztere kann über geeignete Parameter an Verteilungen angepasst werden und ist flexibel. Aus den kontinuierlichen Verteilungen wurden diskrete Verteilungen erzeugt, welche die Häufigkeit des Auftretens von einzelnen Eigenschaften beschreiben. Grafisch lassen sich die einzelnen Verteilungen der Eigenschaften und aggregiert die Verteilung der Anforderungen und Lösungskapazitäten darstellen.

Diskussion: Über das Simulationsmodell kann die Komplexität von medizinischen Aufgaben repräsentiert werden. Es erlaubt eine Anpassung durch die Eingabe von tatsächlichen Häufigkeitsverteilungen, wie sie aus Krankenhausstatistiken gewonnen werden können. Die Balance zwischen Anforderungen und Lösungsmöglichkeiten muss so gehalten werden, dass die Anforderungen keinesfalls den Lösungsmöglichkeiten überwiegen. Das Modell hat zwei Grenzen: 1. Derzeit sind die Verteilungen der Eigenschaften von medizinischen Aufgaben nicht ausreichend untersucht worden, so dass auf Schätzungen und Annahmen zurückgegriffen werden muss. 2. Methodisch basiert die Monte Carlo-Methode auf der Unabhängigkeit der einzelnen Komponenten, was aber für die Medizin nur bedingt stimmt. Weitere Untersuchungen sind notwendig, diese Abhängigkeiten mathematisch zu beschreiben und zu modellieren.

Praktische Implikationen: Das Simulationsmodell kann dazu verwendet werden, die Komplexität von Aufgaben zu modellieren, um zu verstehen, mit welchen Mitteln, die Balance zwischen Anforderungen und Lösungsmöglichkeiten gehalten werden kann. Es hilft zu verstehen, dass der Variabilität der Anforderungen organisatorisch mit einer hohen Stabilität der Lösungsmöglichkeiten begegnet werden kann.