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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Risikokonstellationen für Pflegebedarf – Befunde einer Kohortenstudie zu Prädiktoren von Pflegebedarf bei Frauen und Männern ab 70 Jahren

Meeting Abstract

  • Susanne Schnitzer - Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland
  • Stefan Blüher - Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland
  • Andrea Teti - Robert Koch-Institut, Berlin. Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring. Fachgebiet Gesundheitsberichterstattung, Deutschland
  • Elke Schaeffner - Medizinische Klinik m. S. Nephrologie und Internistische Intensivmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland
  • Natalie Ebert - Medizinische Klinik m. S. Nephrologie und Internistische Intensivmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland
  • Olga Jakob - Institut für Biometrie und Klinische Epidemiologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland
  • Ulrike Grittner - Institut für Biometrie und Klinische Epidemiologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland; Center for Stroke Research, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland
  • Peter Martus - Institut für Klinische Epidemiologie und angewandte Biometrie, Universitätsklinikum Tübingen, Deutschland
  • Volker Wenning - AOK-Nordost – die Gesundheitskasse, Berlin, Deutschland
  • Ralf Suhr - Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP), Berlin, Deutschland
  • Adelheid Kuhlmey - Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV027

doi: 10.3205/16dkvf276, urn:nbn:de:0183-16dkvf2768

Published: January 4, 2017

© 2017 Schnitzer et al.
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Text

Hintergrund: Prognosen zur Entwicklung des Pflegebedarfs in Deutschland zeigen deutliche Differenzen: so reichen die Szenarien in der Projektion bis 2030 von 2,95 Mio. bis zu 3,36 Mio. Pflegebedürftigen. Legt man die Annahme zugrunde, dass das individuelle Risiko, pflegebedürftig zu werden, nicht vorgegeben, sondern durch gezielte Einflussnahme auf das Morbiditätsgeschehen grundsätzlich beeinflussbar ist, so besteht hier Forschungsbedarf. Kenntnisse über Konstellationen von Morbiditäten und Gebrechlichkeit im Hinblick auf Pflegebedarf sind nach wie vor unzureichend. In der hier vorgestellten Studie wurden daher Assoziationen von Pflegebedarf mit medizinischen und sozialen Parametern, sowie Merkmale untersucht, die diesen Zusammenhang vermitteln.

Methoden: Grundlage der Analyse ist eine populationsbasierte Kohorte von in Berlin lebenden AOK-Versicherten ab 70 Jahren. Nachfolgend werden Daten aus dem ersten follow-up (2011-2013) dargestellt (N=1.699). Angaben zur Pflegebedürftigkeit wurden anhand von Leistungsdaten der AOK Nordost gewonnen. Als Prädiktoren von Pflegebedarf wurden Morbiditäten (wie Herzinfarkt, Schlaganfallereignis) sowie geriatrische Paramenter (z.B. Timed-up & go-Test) analysiert. Die statistischen Analysen erfolgten anhand binär logistischer Regressionen und Mediationstest.

Ergebnisse: Das Risiko, pflegebedürftig zu sein, ist am höchsten, wenn folgende Merkmale zutreffen: Hohes Alter, körperliche Inaktivität, ein schlechtes subjektives Gesundheitsempfinden, ein Schlaganfallereignis, eine Krebserkrankung, eingeschränkte Mobilität und Harninkontinenz. Die stärksten Assoziationen zeigen sich mit einer eingeschränkten Mobilität (OR 4.90; KI: 3.24-7.42) und einem sehr hohen Alter (über 90-Jährige: OR 4.47; KI: 2.58-7.74). Der Mediator „körperliche Aktivität“ erklärt 17% des Gesamteffekts von Alter auf Pflegerisiko. Das bedeutet: Vor allem Ältere, die körperlich nicht aktiv sind, haben ein besonders stark erhöhtes Pflegerisiko. Auch der Zusammenhang zwischen Bildung und Pflegerisiko wird partiell durch „körperliche Aktivität“ vermittelt (21%). Das bedeutet: Ältere Menschen mit höherer Bildung haben zum Teil deswegen ein geringeres Pflegerisiko, weil sie körperlich aktiver sind.

Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse liefern Hinweise für die Entstehung von Pflegebedarf und daraus ableitbare Interventionen. Bildungs- und altersspezifische Zusammenhänge mit einer Pflegebedürftigkeit erklären sich zum Teil über körperliche Aktivität. Dies ist als ein Hinweis für die hohe Bedeutung von Bewegungs- und Mobilitätsförderung auch bei höchst vulnerablen Zielgruppen zu werten.