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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Kindgerechte Versorgungsforschung: Können ambulante Routinedaten die kinder- und jugendpsychiatrische Versorgungsrealität abbilden?

Meeting Abstract

  • Amelie Rouche - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, Versorgungsforschung und Risikostruktur, Berlin, Deutschland
  • Michael Erhart - Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung, Versorgungsforschung und Risikostruktur, Berlin, Deutschland
  • Dominik von Stillfried - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung, Berlin, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocP008

doi: 10.3205/16dkvf274, urn:nbn:de:0183-16dkvf2749

Published: September 28, 2016

© 2016 Rouche et al.
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Text

Hintergrund: Oft gehen psychische, soziale und körperliche Auffälligkeiten psychischen Störungen bei Kindern voraus. Werden solche Warnzeichen rechtzeitig wahrgenommen, können Folgeschäden vermieden werden. Kommt es zu psychischen Störungen im Kindesalter, so beeinträchtigen diese massiv – und häufig bis ins Erwachsenenalter – Wohlbefinden, psychosoziale Entwicklung, soziale Beziehungen, Leistungs- und Lernfähigkeit sowie Stressresistenz. Frühe Erkennung und Behandlung dieser Störungen sind daher bedeutend. Nur ein Teil der potentiellen Behandlungsmöglichkeiten können jedoch durch vertragsärztliche Abrechnungsdaten abgebildet werden.

Fragestellung: Ziel der Studie ist, auf Basis bundesweiter ambulanter Versorgungs-Routinedaten die Prävalenz psychischer und psychosomatischer Störungen im Kindesalter zu schätzen und die damit assoziierte Komorbidität sowie Inanspruchnahme psychotherapeutischer Maßnahmen zu untersuchen. Durch die Analyse des Zusammenhanges zwischen kodierten Störungen und Inanspruchnahme psychotherapeutischer Maßnahmen soll die Möglichkeit einer Abbildung der Versorgungsrealität eingeschätzt werden.

Methode: Untersucht wurde eine zehnprozentige Stichprobe der vertragsärztlichen Abrechnungsdaten aller gesetzlich Krankenversicherten bis 18 Jahre aus dem Jahr 2011, die einen über das KV-System abrechnenden Arzt in Anspruch nahmen. Zunächst wurden deskriptive Statistiken und Häufigkeitstabellen erstellt. Danach wurde regressionsanalytisch die mit psychischen Störungen assoziierte Inanspruchnahme auf individueller Ebene ermittelt. Dabei wurden Alters- und Geschlechtsunterschiede berücksichtigt.

Ergebnisse: Die 12-Monatsprävalenz einer psychischen Störungsdiagnose liegt im Kindesalter bei 21%. Davon weisen 20% zwei oder mehr unterschiedliche Diagnosen auf. Ihr Leistungsbedarf liegt bei 140% des Durchschnitts. 20% der psychisch kranken Kinder haben mindestens einen Kontakt mit einem Psychiater oder Psychotherapeuten. Allerdings nehmen nur 3% antragspflichtige psychotherapeutische Leistungen in Anspruch. Die Diagnosen, die am häufigsten bei Kindern mit einer antragspflichtigen Leistung kodiert werden, sind Depression und Störungen sozialer Funktionen. Dagegen werden hyperkinetische Störungen und somatoforme Störungen kaum psychotherapeutisch behandelt. Mit jeder zusätzlichen Diagnose steigt die Wahrscheinlichkeit, Kontakt mit einem Psychiater oder Psychotherapeuten zu haben, um 3% und eine antragspflichtige psychotherapeutische Leistung in Anspruch zu nehmen um 11%.

Diskussion: Kindern treffen meist nicht selbst die Entscheidung, Gesundheitsleistungen in Anspruch zu nehmen. Erwachsene müssen psychische, soziale und körperliche Auffälligkeiten wahrnehmen und darauf reagieren. Daraus resultiert, dass psychische Störungen im Kindesalter wahrscheinlich unterschätzt werden. Dies gilt insbesondere für Kinder aus schwierigen Umfeldern, die tendenziell den größeren Versorgungsbedarf, jedoch geringere Chancen auf eine Behandlung haben. Die Gründe für die die Diskrepanz zwischen Prävalenz und Inanspruchnahme sowie die Differenz zwischen der administrativen und der epidemiologischen Prävalenz werden im Rahmen der Sitzung methodisch reflektiert.

Praktische Implikationen: Um eine kindergerechte Versorgungsforschung zu ermöglichen, sind vertragsärztliche Routinedaten allein eine wichtige, aber keine ausreichende Datengrundlage. Um die Fälle möglichst repräsentativ und den Behandlungsverlauf möglichst vollständig abzubilden, wäre es sinnvoll, weitere Daten (Verordnung von Heil- und Hilfsmittel, Primärdaten, etc.) einzubeziehen.