gms | German Medical Science

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Adipositasversorgung in Deutschland

Meeting Abstract

Search Medline for

  • Hans-Holger Bleß - IGES Institut GmbH, Versorgungsforschung, Berlin, Deutschland
  • Simon Krupka - IGES Institut, Versorgungsforschung, Berlin, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocP055

doi: 10.3205/16dkvf265, urn:nbn:de:0183-16dkvf2652

Published: September 28, 2016

© 2016 Bleß et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Outline

Text

Hintergrund: Adipositas wird definiert als eine Erhöhung des Körperfetts über das Normalmaß hinaus und üblicherweise anhand des Body-Mass-Index (BMI) bestimmt. Epidemiologischen Schätzungen zufolge leidet bereits etwa ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland an Adipositas. Gleichzeitig ist der Anteil der höhergradigen Adipositas sowohl bei Männern als auch bei Frauen in den letzten Jahren gestiegen. Adipositas ist mit Begleit- und Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes sowie erhöhten Risiken für kardiovaskuläre und Krebserkrankungen assoziiert. Neben der ausgeprägten (Ko-)Morbidität ist auch eine erhöhte Mortalität zu beobachten, die gegenüber Normalgewichtigen bis zu dreimal so hoch ist. Diese Krankheitslast geht mit entsprechend hohen direkten und indirekten Kosten für Gesellschaft und Gesundheitswesen einher.

Fragestellung: Übergeordnet wurde eine Analyse der Versorgungssituation von Menschen mit Adipositas in Deutschland durchgeführt. Hierbei wurde u. a nach Präventionsstrategien und therapeutischen Maßnahmen differenziert sowie Aspekte der Wirksamkeit, Inanspruchnahme und Kosteneffektivität betrachtet. Ein wesentlicher Schwerpunkt lag hierbei auf dem Vergleich zwischen konservativen und chirurgischen Behandlungsmethoden.

Methode: Neben systematischen Literaturrecherchen wurden Daten der amtlichen Statistik verwendet und auf deren Basis eigene Berechnungen u. a. zur Häufigkeit und Entwicklung der in Deutschland durchgeführten Adipositas-chirurgischen Verfahren (bariatrische Operationen) durchgeführt.

Ergebnisse: Chirurgische Verfahren sind gegenüber konservativen Behandlungsmaßnahmen hinsichtlich der Gewichtsreduktion und der Verbesserung von Komorbiditäten deutlich effektiver. Des Weiteren zeigen erste Studien beim Vergleich konservativer Behandlungen und bariatrischer Operationen eine geringere Mortalität für Chirurgie-Patienten sowie eine geringere Krebsinzidenz bei operativ behandelten Frauen.

Bezüglich der Kosteneffektivität ergeben sich ebenfalls Vorteile. So amortisieren sich die zunächst höheren Kosten chirurgischer Verfahren je nach Studie zwar unterschiedlich schnell, sind aber langfristig geringer als die Kosten konventioneller Therapien. Ferner resultieren bariatrische Eingriffe in mehr qualitätsadjustierte Lebensjahre (QUALY). Allerdings ist die Studienlage zu den Kosten-Nutzen-Vorteilen insbesondere für Deutschland schwach.

In Deutschland existieren verschiedene Präventionsstrategien, sind allerdings unzureichend evaluiert, werden nur in geringem Maße in Anspruch genommen oder zeigen nur eine unzureichende Wirksamkeit.

Insgesamt lässt sich für Deutschland beobachten, dass anstelle der eigentlichen Ursachen der Adipositas vielmehr die Begleit- und Folgeerkrankungen behandelt werden. Für konservative Therapien ergibt sich u. a. als Hindernis, dass Betroffene mit Adipositas Grad III häufig nicht behandelt werden können und Patienten mit geringeren Adipositasgraden ihr reduziertes Gewicht nicht langfristig halten können.

Im Jahr 2014 wurden bundesweit 9.225 chirurgische Eingriffe durchgeführt. Vergleicht man diese Zahl jedoch mit der Prävalenz von schwer adipösen Patienten, ergeben sich Schätzungen zufolge annähernd 2 Millionen Menschen, für die eine bariatrische Operation indiziert sein könnte. Eine langfristige Nachsorge von chirurgisch behandelten Patienten ist zudem nicht sichergestellt.

Diskussion: Mängel in der Versorgung von adipösen Patienten können entlang der gesamten Versorgungskette identifiziert werden. Neben Informationsdefiziten in Ärzteschaft und Gesellschaft hinsichtlich der Adipositas als Krankheit besteht eine Überforderung der Hausärzte durch die zeitintensive und komplexe Therapie. Hinzukommt ein unzureichendes Angebot fachärztlicher Versorgung sowie eine fehlende Langzeitbetreuung. Kosten einer leitliniengerechten Versorgung werden im GKV-System gegenwärtig nicht übernommen.

In der vorliegenden Analyse werden verschiedene Lösungsansätze diskutiert, die zum Teil bereits in Verträgen zur integrierten Versorgung umgesetzt werden.

Praktische Implikationen: Um eine leitliniengerechte und flächendeckende Versorgung für Betroffenen von Adipositas sicherzustellen, sind Änderungen im Leistungsrecht erforderlich.

Contributed equally: H.-H. Bleß, S. Krupka