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Innovative (hausarztzentrierte) Primärversorgungsmodelle in der Steiermark: Identifikation und Analyse („In Primo“)
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Published: | September 28, 2016 |
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Hintergrund: 2013 wurde in Österreich die Konzipierung einer multiprofessionellen, interdisziplinären Primärversorgung (Primary-Health-Care, PHC) und deren Umsetzung auf Landesebene als Ziel festgesetzt. Die Tatsache, dass Leistungen in der österreichischen allgemeinmedizinischen Primärversorgung klassischerweise durch Einzelpraxen erbracht werden, zeigt, dass bisher umgesetzte PHC-Ansätze in der allgemeinmedizinischen Versorgung eine Innovation darstellen.
Fragestellung: Bis dato wurde noch nicht erhoben, ob und in welcher Form derzeit innovative Primärversorgungsmodelle mit PHC-Ansätzen im niedergelassenen Bereich vorhanden sind und ob sich gegebenenfalls aus solchen vorhandenen innovativen (hausarztzentrierten) Primärversorgungsmodellen (In Primos) Rückschlüsse für die geplanten PHC-Modelle ziehen lassen.
Ziel des Projektes war daher die Bestandsaufnahme und Charakterisierung innovativer (hausarztzentrierter) Primärversorgungsmodelle mit PHC-Ansätzen in der Steiermark.
Methode: Es wurde eine Querschnittserhebung mit Primary-Health-Care-Merkmalen durchgeführt, die an das österreichische Konzept zur multiprofessionellen und interdisziplinären Primärversorgung [1] angelehnt wurden. Es wurden Merkmale zu folgenden fünf Kategorien ausgearbeitet: 1. Team, 2. Zugang, 3. Umfassende, niederschwellige Versorgung, 4. Koordinierte, kontinuierliche Versorgung, 5. Weitere Merkmale.
Anhand von Pilotinterviews wurden diese PHC-Merkmale und ein dazugehöriger Interviewleitfaden zur Erfassung dieser Merkmale getestet und eine Differenzierung zwischen „Standard-Praxis“ und In Primo vorgenommen.
Die Identifikation potenzieller In Primos in der Steiermark erfolgte über ein Schneeballverfahren, welches durch eine fokussierte Internetrecherche ergänzt wurde. Um nähere Informationen über die gefundenen potenziellen In Primos zu erhalten, wurden leitfadengestützte Interviews geführt. Anschließend erfolgte die Analyse zu den PHC-Merkmalen.
Ergebnisse: Es wurden 19 ausgearbeitete PHC-Merkmale definiert, wovon zur Einstufung einer Einrichtung als innovatives (hausarztzentriertes) Primärversorgungsmodell mindestens zehn PHC-Merkmale erfüllt sein mussten.
Durch das Schneeballverfahren und die Internetrecherche konnten insgesamt 87 Einrichtungen mit mindestens einer Nennung identifiziert werden. Auf Basis von eingeholten Vorinformationen wurde bei 17 potenziellen In Primos um ein Interview gefragt und mit 14 tatsächlich ein Interview geführt. Die Gründe für die drei Ausschlüsse waren: keinen Termin gefunden, keine Rückmeldung erhalten und Teilnahme abgelehnt. Durch die Analyse der PHC-Merkmale wurden elf In Primos identifiziert. Im Durchschnitt erfüllten diese zwölf PHC-Merkmale. Drei potenzielle In Primos wurden nach den Interviews ausgeschlossen, weil sie weniger als zehn PHC-Merkmale erfüllten.
Unter den identifizierten In Primos waren überwiegend Einzelarztpraxen für Allgemeinmedizin, aber auch eine allgemeinmedizinische Gruppenpraxis, ein Ärztezentrum und ein allgemeinmedizinisches Ambulatorium. Häufig bestehen sie aus multiprofessionellen Teams, haben auch am Tagesrand geöffnet und bieten Webdienste (z.B. Online-Rezeptbestellung) an. Auch führen sie Hausbesuche durch, bieten in der Regel Impf- und Lifestyle-Beratung an, führen ein Disease Management Programm durch und haben sich zusätzlich auf zumindest eine weitere Zielgruppe (z.B. ältere Menschen) spezialisiert. Auffällig ist, dass wenig identifizierte In Primos mehr als 25 Stunden/Woche geöffnet haben und dem Anspruch der transkulturellen Kompetenz gerecht werden. Standardisierte Prozesse für Terminorganisation, Aufnahme- und Entlassungsmanagement und Förderung des Selbstmanagements gelingen ebenfalls nicht immer. Beinahe alle sind zertifizierte Lehrpraxen.
Diskussion: Es besteht die Möglichkeit, dass weitere, nicht-identifizierte In Primos existieren. Auffällig war die Fehleinschätzung der Einrichtungen im Sinne von Über- und Unterschätzung. Aufgrund der politischen Aktualität war die Durchführung des Projektes erschwert. Die Beurteilung komplexer Prozesse (z.B. Aufnahme- und Entlassungsmanagement) ist schwierig (wenig objektivierbar) und sollte daher von zwei Personen erfolgen.
Insgesamt wirft das Projekt die Frage auf, ob alle Elemente aus dem österreichischen Konzept zur multiprofessionellen und interdisziplinären Primärversorgung erfüllt werden müssen, damit man von dessen Umsetzung sprechen kann oder ob es bestimmte Grundelemente gibt, die als „Mindeststandard“ (z.B. das Kernteam und Öffnungszeiten) gelten.
Praktische Implikationen: Die vorliegende Studie zeigt, dass es bereits innovative Primärversorgungsansätze in der Steiermark gibt. Diese können als Ideengeber für die Entwicklung steirischer Primary-Health-Care-Pilotprojekte dienen.