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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Medikationsfehler: Identifikation unbekannter Zusammenhänge über Routinedaten (Studie UAE-DETECT)

Meeting Abstract

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  • Nils Kuklik - Universitätsklinikum Essen, Institut für medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Essen, Deutschland
  • Jürgen Stausberg - Universitätsklinikum Essen, Institut für medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Essen, Deutschland
  • Karl-Heinz Jöckel - Universitätsklinikum Essen, Institut für medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Essen, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocP145

doi: 10.3205/16dkvf236, urn:nbn:de:0183-16dkvf2365

Published: September 28, 2016

© 2016 Kuklik et al.
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Hintergrund: Unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Medikationsfehler sind häufige Komplikationen stationärer Aufenthalte. Die zeitnahe Identifikation von unbekannten Zusammenhängen ist eine Voraussetzung, um Schaden bei Dritten durch Risikoabwehrmaßnahmen abzuwenden (wie z. B. durch Änderungen der Produktinformation). Zwar ist in Deutschland das Spontanmeldesystem von Nebenwirkungen etabliert, die Aussagekraft ist allerdings durch die geringe Meldebereitschaft begrenzt. Für die Meldung von Medikationsfehlern oder Beinahe-Ereignissen bieten sich Critical Incidence Reporting Systeme (CIRS) an, die jedoch ebenfalls unter Akzeptanzproblemen leiden. Die Nutzung der routinemäßig erfassten Diagnose- und Leistungsdaten von Krankenhäusern in Deutschland (Routinedaten) kann die vorgenannten Verfahren daher hinsichtlich Vollständigkeit und Zeitnähe sinnvoll ergänzen.

Fragestellung: Als Hauptfragestellungen untersucht die Studie das Potential von Routinedaten zur Identifikation unbekannter Nebenwirkungen oder Kontraindikationen von Arzneimitteln sowie zur Identifikation systematischer Ursachen von Medikationsfehlern. In einer ersten Studienphase wird zunächst die Datenqualität der Routinedaten validiert, indem die Genauigkeit ausgewählter unerwünschter Arzneimittelereignisse (UAE) sowie die Vollständigkeit von UAE in stationären Routinedaten ermittelt werden. In Phase 2 werden die in den Routinedaten erfassten UAE hinsichtlich neuer Zusammenhänge zum UAE analysiert. Berichtet wird über Ergebnisse aus Phase 1.

Methode: Zur Untersuchung der Genauigkeit (positiv prädiktiver Wert, PPV) von UAE in Routinedaten wurden 15 ICD-10-GM-Kodes bzw. Kodegruppen identifiziert, die sicher auf ein UAE hinweisen und am häufigsten in Routinedaten als Nebendiagnosen (ND) vorhanden sind. Aus den Routinedaten wurden zufällig 806 Fälle gezogen, das Aktenreview mit Zuordnung von ND zum Behandlungsfall erfolgte mit Hilfe eines standardisierten Bewertungsbogens. Eine Beobachtungseinheit war als eine ND eines stationären Aufenthalts definiert.

Die Vollständigkeit der Routinedaten (Sensitivität) wurde über eine Aktensichtung allgemein für im Krankenhaus erworbene UAE bestimmt, die mit den in den Routinedaten gemeldeten ND verglichen wurden. Auch hierfür wurde ein standardisierter Bewertungsbogen nach internationalen Erkenntnissen entwickelt. Hinsichtlich UAE wurden 1510 Akten überprüft.

Die Studie wurde an vier Krankenhäusern in Deutschland durchgeführt, welche die Routinedaten der Jahre 2014 und 2015 zur Verfügung stellten und das Patientenakten-Review durchführten. Die personenbezogene Verarbeitung der Daten war auf die beteiligten Krankenhäuser beschränkt. Die Datenauswertung erfolgte mit anonymisierten Sekundärdaten.

Ergebnisse: Nach Auswertung von bislang 686 Fällen ließen sich 538 ND hinreichend medizinisch aus der Patientenakte ableiten. Dies ergab einen PPV von 78 % [95 %-Konfidenzintervall: 75.2 %, 81.5 %]. Dabei wiesen alle untersuchten ICD-10-Kodes einen PPV von > 65 % auf, 12 von > 70 %, 8 von > 80 % und 3 von > 85 %. Bei Erkrankungen, die sich häufiger während des stationären Aufenthalts entwickeln, war der PPV höher als bei Erkrankungen, die bei stationärer Aufnahme bereits bestanden.

Diskussion: Die in dieser Studie zu Grunde liegende Auswahl von Kodes der ICD-10-GM ist hinsichtlich der Verursachung durch Arzneimittel eindeutig. Falsch Positive oder falsch Negative stellen daher im Regelfall eine Fehlkodierung der erbrachten Leistung dar. Auf Grund der hohen Datenqualität der Routinedaten in Deutschland wurde vor Studienbeginn ein PPV von 80 % für die untersuchten Kodes angenommen, was durch die erste Analyse der Genauigkeit gestützt wird. Weitere Auswertungen hinsichtlich Unterschiede zwischen Kode(-klassen), möglicher Arten der Fehlkodierung sowie die Auswertung der Sensitivität folgen. Erkenntnisse aus der Phase 1 fließen in die Auswahl der Kodes der Phase 2 ein.

Praktische Implikationen: Routinedaten können zuverlässig die Spontanmeldesysteme zu UAE in Deutschland ergänzen. Damit leisten Routinedaten einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung eines kostengünstigen Monitoringsystems für unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Medikationsfehler und zur Ergänzung von Fehlermeldesystemen wie CIRS. Die Untersuchung des Beitrags von Routinedaten zur Identifikation unbekannter Zusammenhänge bleibt der zweiten Projektphase vorbehalten.