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15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

5. - 7. Oktober 2016, Berlin

Das multiprofessionelle geriatrische Team aus Perspektive der organisationsbezogenen Versorgungsforschung – Erste Ergebnisse einen teilnehmenden Beobachtungsstudie

Meeting Abstract

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  • Lars Rölker-Denker - Universität Oldenburg, Department für Versorgungsforschung, Oldenburg, Deutschland
  • Andreas Hein - Universität Oldenburg, Department für Versorgungsforschung, Oldenburg, Deutschland

15. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 05.-07.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocP094

doi: 10.3205/16dkvf172, urn:nbn:de:0183-16dkvf1725

Published: September 28, 2016

© 2016 Rölker-Denker et al.
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Hintergrund: Das multiprofessionelle geriatrische Team (MGT) ist eines der Kernelemente der geriatrischen Komplexbehandlung. Das MGT besteht aus medizinischen, pflegerischen, therapeutischen und sozialdienstlichen Fachkräften und soll eine ganzheitlich-systemische Behandlung des geriatrischen Patienten gewährleisten. Im Regelfall trifft sich das MGT zu einer wöchentlichen MGT-Sitzung (MGTS), bespricht und steuert den Behandlungsfortschritt und –prozess, plant den poststationären Verlauf und ist ein zentraler Ort für den Wissensaustausch [1]. Die MGTSen können dabei durch IT-basierte Dokumentationsprogramme unterstützt werden, die es ermöglichen Informationen (Vitalparameter, Sozialdaten, therapeutischer Fortschritt etc.) vorab einzutragen.

Fragestellung: Eine Untersuchung der MGTS aus Perspektiven der organisationsbezogenen Versorgungsforschung hat bisher nicht stattgefunden. Ziel der explorativen Studie war daher eine erste Bestandsaufnahme von Einflussfaktoren und eine Charakterisierung möglicher gruppendynamischer Effekte [2] und sozialpsychologische Phänomene auftreten [3].

Methodik: Durch teilnehmende Beobachtung auf zwei geriatrischen Akutstationen in zwei Krankenhäusern wurden insgesamt 6 MGTSen in die Studie eingeschlossen. Der Beobachter hat sich zu Beginn jeder Sitzung kurz vorgestellt und dann den weiteren Verlauf der Sitzung beobachtet. Es wurde eine Beobachtungsmatrix mit verschiedenen gruppendynamischen und sozialpsychologischen Parametern entwickelt und während der Sitzung für jeden patientenspezifischen Besprechungsblock einzeln ausgefüllt. Insgesamt konnten so 42 Patientenbesprechungen dokumentiert werden.

Ergebnisse: Die hospitierten Akutstationen gehören einem gemeinsamen Zentrum an und verfügen über eine gemeinsame chefärztliche Leitung, teilweise gibt es auch weitergehende Personalüberschneidungen im ärztlichen Dienst. Das Hauptunterscheidungsmerkmal der beobachteten MGTSen ist der Einsatz von geriatriespezifischer IT. Eine Station verfügt über ein IT-basierte Dokumentationssystem, die andere Station nicht.

Die beobachteten MGTSen fanden in unterschiedlichen räumlichen Settings statt. Die MGTS mit IT-Unterstützung fand in einem physio- und ergotherapeutischen Zimmer statt, die Teilnehmer saßen im Kreis (tlw. ohne Tisch, auf Hockern), der PC stand in der Ecke und die schreibende Person mit dem Rücken zum Rest der Gruppe. Die MGTS ohne IT-Unterstützung fand im Essens- und Aufenthaltsraum der Station statt, alle Teilnehmer saßen an Tischen und hatten Blickkontakt. Das Zimmer ist durch eine Glastür vom Flur getrennt, wodurch sowohl optischer Kontakt in die MGTS möglich war, als auch das Geschehen auf dem Flur beobachtet werden konnte.

Es konnten zwei Formen von Koordinationsverlusten beobachtet werden: fehlende Disziplinen und fehlende Informationen. Bei drei MGT-Sitzungen konnten fehlende Disziplinen beobachtet werden: einmal war die Logopädie zu Beginn einer Sitzung abwesend und verpasste 5 Patientenbesprechungen, einmal war der Sozialdienst vollständig abwesend und einmal war der oberärztliche Dienst auf Grund einer Notfallsituation abwesend. Alle drei Abwesenheiten wurden in der IT-gestützten MGT-Sitzung beobachtet. Fehlende Informationen konnten insgesamt 26x beobachtet werden. Dies kann unterschieden werden in „Vergessen“ (3x wurde das Informationsobjekt „Patientenkurve“ vergessen, 11x wurde vergessen Daten einzutragen) und „Prozessbedingt“ (12x, bspw. Untersuchungen stehen noch aus, Angehörige sind noch nicht angesprochen, etc.). Alle vergessenen Informationen traten in der nicht-IT-gestützten Sitzung auf, prozessbedingt liegt die Verteilung bei 10x nicht-IT-gestützt zu 2x IT-gestützt.

Diskussion: Beiden MGTSen ist gemein, dass sie nicht in Besprechungsräumen stattfinden sondern in einer improvisierten Umgebung (Therapiezimmer, Aufenthaltsraum). Aus der Forschung [4] ist bekannt, dass die räumliche Umgebung ebenso einen Einfluss auf die Qualität einer Besprechung hat wie Anlass und Uhrzeit. Auch kann die IT-Unterstützung einen Einfluss zu haben; das Vorhandensein scheint mit der Teilnahmequote einzelner Professionen zusammenhängen, Nicht-Vorhandensein das Fehlen von Informationen zu begünstigen. Weiterführende Auswertungen zu gruppendynamischen und sozialpsychologischen Effekten und Parametern stehen noch aus.

Praktische Implikationen: Besprechungen sollten in geeigneten Umgebungen stattfinden. Sofern dies aus externen Restriktionen nicht möglich ist, könnte durch kleinere Maßnahmen (Ausweichen in Essens-/Schulungsraum, Blickkontakt aller Personen durch Repositionierung des stationären Computers, Verwendung eines mobilen Laptops) die Qualität einer Besprechung, in Folge auch die Teilnahmequote, erhöht werden.


Literatur

1.
Rölker-Denker L, et al. DMW. 2012:137;170/A281.
2.
Drewes S, et al. Sozialpsychologie – Interaktion und Gruppe. Hogrefe; 2011. S. 223-44.
3.
Stümer S, et al. Sozialpsychologie der Gruppe. Ernst Reinhardt Verlag; 2013.
4.
Rief S. Methode zur Analyse des Besprechungsgeschehens und zur Konzeption optimierter, räumlich-technischer Infrastrukturen für Besprechungen [Dissertation]. Universität Stuttgart; 2015. DOI: 10.18419/opus-6882 External link