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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Qualitative und quantitative Evaluation einer Entscheidungshilfe zum PSA-Screening –Pilotstudie

Meeting Abstract

  • Kathrin Schlößler - Abteilung für Allgemeinmedizin der Philipps-Universität Marburg, Marburg, Deutschland
  • Katrin Kuss - Abteilung für Allgemeinmedizin der Philipps-Universität Marburg, Marburg, Deutschland
  • Miriam Becker - Abteilung für Allgemeinmedizin der Philipps-Universität Marburg, Marburg, Deutschland
  • Axel Semjonow - Prostatazentrum am Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • Hans Werner Hense - Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin Westfälische Wilhelms-Universität, Münster, Deutschland
  • Alexandra Simbrich - Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin Westfälische Wilhelms-Universität, Münster, Deutschland
  • Joachim Gerß - Institut für Biometrie und Klinische Forschung, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Münster, Deutschland
  • Matthias Borowski - Institut für Biometrie und Klinische Forschung, Westfälische Wilhelms-Universität , Münster, Deutschland
  • Norbert Donner-Banzhoff - Abteilung für Allgemeinmedizin der Philipps-Universität Marburg, Marburg, Deutschland
  • Charles Christian Adarkwah - Abteilung für Allgemeinmedizin der Philipps-Universität Marburg und Department of Health Services Research, Maastricht University , Marburg/Maastricht, Niederlande

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP088

doi: 10.3205/15dkvf308, urn:nbn:de:0183-15dkvf3083

Published: September 22, 2015

© 2015 Schlößler et al.
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Text

Hintergrund: Beratungen über Screening-Maßnahmen sind aufgrund einer komplexen Abwägung von Nutzen und Folgen (falsch positive Testergebnisse, Überdiagnose und -therapie) schwierig. Transaktionale Entscheidungshilfen(tEH) werden während einer Beratung eingesetzt und können diese strukturieren und den Entscheidungsprozess unterstützen. Es handelt sich bei tEH um komplexe Interventionen, die nach den Empfehlungen des MRC in mehreren aufeinander aufbauenden Studienphasen (weiter)-entwickelt werden.

Fragestellung:

1.
Wie bewerten Anwender die transaktionale EH? Welche Implikationen zur Weiterentwicklung der Intervention ergeben sich hieraus? (Qualitative Analyse)
2.
Wie informiert und sicher sind Männer in Ihrer Entscheidung? (Deskriptive Auswertung)

Methode: In dieser zweiphasigen Pilotstudie wurde die EH zur Beratung zum PSA-Screening in der Praxissituation von Ärzten eingesetzt. Als Zielgruppe wurden Männer im Alter von 55–69 ohne Prostatakrebs rekrutiert.

In der ersten Studienphase wurden 32 Patienten durch ihre Hausärzte (7) oder Urologen(2) mit der tEH beraten. Anschließend führten wir teilstrukturierte Interviews mit allen Beteiligten durch. Diese wurden digital aufgezeichnet, transkribiert und inhaltsanalytisch gemischt deduktiv-induktiv ausgewertet.

In der zweiten Phase (Praxistest) wurden die Teilnehmer in Clustern (Praxis; n=14) zur Interventionsgruppe IG(Beratung mit tEH) bzw. der Kontrollgruppe KG (Herkömmliche Beratung) randomisiert und die Patienten konsekutiv durch ihre Hausärzte rekrutiert. Direkt nach der Beratung mit der tEH wurden Wissen (modifiziert nach Watson et al; 2006), Entscheidungskonflikt (EK; Decisional Conflict Scale;) sowie Intention und Verhalten abgefragt. In einem telefonischen Follow-up nach zwei Wochen wurden erneut der EK, die Intention und das Verhalten erhoben.

Aufgrund der kleinen Stichprobe erfolgt die Analyse deskriptiv und ohne Berücksichtigung von Cluster-Effekten.

Ergebnisse:

Forschungsfrage 1: Bewertung und Implikationen zur Weiterentwicklung:

Die teilnehmenden Ärzte loben die graphische Umsetzung, den Ablauf sowie die Vollständigkeit und Neutralität der tEH. Kritisch wird die Informationsfülle bewertet, zudem wird die benötigte Beratungszeit als Implementierungshindernis identifiziert. In den Interviews wird jedoch sowohl aus Perspektive der Ärzte als auch der beratenen Männer deutlich, dass keine Aspekte der EH gekürzt werden können, ohne die Neutralität der Beratung zu gefährden. Durch den konkreten Wunsch von Männern und Ärzten wird ein Hand-out mit value-clarification-exercise entwickelt und in der weiteren Pilotphase erfolgreich eingesetzt. Insgesamt schätzen die Patienten die Beratung durch ihren Arzt und empfinden auch die Beratung mit Hilfe des PC-Programmes als „zeitgemäß“.

Forschungsfrage 2: Wie informiert und sicher sind Männer in Ihrer Entscheidung? (Deskriptiv)

In der Interventionsgruppe schied ein Arzt vor Studienbeginn aus. Das Rekrutierungsziel wurde weder in der Interventionsgruppe 75/170 (44,1%) noch in der Kontrollgruppe 90/150 (60,0%) erreicht. Die beratenen Männer waren im Durchschnitt 62,4 bzw. 61,8 Jahre alt. Über die Hälfte der Männer in beiden Gruppen (54,1% IG bzw. 51,7% KG) hatte bereits einen PSA-Test durchgeführt.

Im Wissensfragebogen wurden durchschnittlich 8 von 11 Fragen (IG) bzw. 6 von 11 (KG) korrekt beantwortet. Die Unterschiede ergeben sich in den Subskalen zu Testeigenschaften des PSA-Tests und zur Effektivität des Screenings.

Zwar konnte im Rahmen der qualitativen Interviews bei einigen Männern ein erheblicher Entscheidungskonflikt (EK) identifiziert werden. In der quantitativen Erhebung zeigten jedoch beide Studienarme im Durchschnitt einen geringen EK auf, der mit der Umsetzung einer getroffenen Entscheidung assoziiert ist. Interessanterweise haben sich jedoch 28,6% der Männer (IG) bzw. 32,5% (KG) nach 2 wöchiger Bedenkzeit abweichend entschieden, was ein Zeichen für eine hohe Unsicherheit sein kann. Der zu diesem Zeitpunkt erneut erhobene EK war jedoch insgesamt geringer als direkt nach der Beratung.

Praktische Implikationen: Basierend auf einer qualitativen Vorstudie konnte die tEH weiterentwickelt und erfolgreich in einer Pilotstudie eingesetzt werden. Ab Mai 2015 wird die EH in einer C-RCT-Hauptstudie hinsichtlich ihrer Effektivität den Entscheidungskonflikt zu reduzieren untersucht werden. Im Rahmen des Praxistest zeigte sich zwei Wochen nach der Beratung in beiden Gruppen ein geringerer EK als direkt nach der Beratung. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass Männer nach einer Beratung Zeit benötigen, um eine sichere Entscheidung über den PSA-Test zu treffen. Auch die Beobachtung, dass fast ein Drittel der Männer ihre Entscheidung geändert haben, passt zu dieser Annahme. Diese Ergebnisse sollten jedoch aufgrund der geringen Stichprobengröße nur mit Vorsicht interpretiert werden.