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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Versorgungspfade für chronisch entzündliche Darmerkrankungen in der praktischen Umsetzung – Erste Ergebnisse einer prospektiven Kohortenstudie

Meeting Abstract

  • Jana Langbrandtner - Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie, Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland
  • Bernd Bokemeyer - Gastroenterologische Gemeinschaftspraxis Minden, Minden, Deutschland
  • Petra Jessen - Gastroenterologische Gemeinschaftspraxis, Altenholz, Deutschland
  • Heiner Raspe - Seniorprofessur für Bevölkerungsmedizin und Versorgungsforschung, Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland
  • Angelika Hüppe - Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie, Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP065

doi: 10.3205/15dkvf307, urn:nbn:de:0183-15dkvf3071

Published: September 22, 2015

© 2015 Langbrandtner et al.
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Text

Hintergrund: Um die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa umfassend fächer- wie sektorenübergreifend und problemorientiert zu gestalten, wurden evidenzbasierte und interdisziplinär konsentierte Versorgungspfade entwickelt. Sie empfehlen neben der regionalen Vernetzung und Zusammenarbeit der verschiedenen Behandler den Betroffenen ein regelmäßiges fragebogengestütztes Assessment krankheitsbezogener Probleme sowie die Teilnahme an ortsnahen Patientenschulungen in Kleingruppen anzubieten. Im Rahmen einer prospektiven kontrollierten Kohortenstudie wurde die Implementierung von Empfehlungen der Versorgungspfade in einer Modellregion praktisch erprobt und die Auswirkungen auf patientenberichtete Outcomes untersucht.

Fragestellung: Kann durch die Implementierung von Empfehlungen der Versorgungspfade der Gesundheitszustand von Patientinnen und Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) längerfristig positiv beeinflusst werden?

Methode: Es wurde eine zweiarmige, prospektive Kohortenstudie mit drei Erhebungszeitpunkten (Baseline, nach 6 und 12 Monaten) durchgeführt. 10 gastroenterologische Facharztpraxen und zwei CED-Hochschulambulanzen in Schleswig-Holstein rekrutierten konsekutiv Patientinnen und Patienten für die Interventionsgruppe (IG), 18 gastroenterologische Facharztpraxen in anderen Regionen Deutschlands rekrutierten Betroffene für die Vergleichsgruppe (VG). Zu allen drei Messzeitpunkten bearbeiteten die Studienteilnehmer einen Assessmentfragebogen, der biopsychosoziale Probleme sowie die Zielparameter erfasste. Zeitgleich füllten die behandelnden Fachärzte einen zweiseitigen Dokumentationsbogen aus. Die Teilnehmer der IG erhielten zur Erstbefragung die Auswertung ihres Fragebogens mit auf die individuellen Probleme und Risiken zugeschnittenen Behandlungs- und Beratungsempfehlungen postalisch rückgemeldet. In den folgenden 12 Monaten konnten die Teilnehmer der IG bzw. ihre behandelnden Ärzte an regionalen Schulungen, Fallkonferenzen und Fortbildungsveranstaltungen teilnehmen. Die VG erhielt keine zusätzlichen Angebote. Primäre Outcomes waren die gesundheitsbezogene Lebensqualität (EQ-VAS; Score 0-100) und die Einschränkung der sozialen Teilhabe (erfasst mit dem IMET (Score 0-10) sowie über die Anzahl von Beeinträchtigungstagen in den letzten 3 Monaten (Score 0-90)).

Ergebnisse: Es wurden 189 CED-Erkrankte für die IG und 160 für die VG rekrutiert. 282 der 349 Studienteilnehmer nahmen an der 12-Monatsbefragung teil (Rücklauf IG: 75,1 %; KG: 87,5 %). Die Teilnehmer waren zur Erstbefragung weitgehend vergleichbar (61 % weiblich, 50,4 % Morbus Crohn, 66 % in Remission, 68 % erwerbstätig), Unterschiede zwischen IG und VG zeigten sich im Alter, der Schulbildung und der Medikation.

Unter Kontrolle der beobachteten Ausgangslagenunterschiede zeigten varianzanalytische Auswertungen keine signifikanten Unterschiede in den primären Zielgrößen zwischen der IG und VG nach 12 Monaten. IG und VG verbesserten sich in vergleichbarer Weise. Für die Gesamtgruppe wurden kleine Verbesserungen in der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (Prä-Post: Anstieg von 72,5 auf 76,2; p=0,002; ES=0,21) sowie in der Einschränkung der sozialen Teilhabe (Prä-Post: Reduktion der Anzahl an Einschränkungstagen von 11 auf 7; p=0,002; ES=0,19 sowie Reduktion des IMET-Scores von 2,1 auf 1,9; p=0,025; ES=0,12) beobachtet.

Die IG berichtete gegenüber der VG zur 12-Monatskatamnese bessere Werte in den erfassten Selbstmanagement-Kompetenzen (gemessen mit heiQ-Skalen; sekundäres Outcome): Die IG präsentierte gesteigerte Kompetenzen in den Bereichen „Selbstüberwachung und Krankheitsverständnis“ (Interaktion Treatment x Zeit: p=0,011) sowie „konstruktive Einstellungen“ (Interaktion Treatment x Zeit: p=0,007).

Diskussion und praktische Implikationen: Es zeigte sich keine vorteilhaftere Entwicklung in den primären Zielgrößen nach 12 Monaten in der IG gegenüber der VG. Die Netzwerkaktivitäten wurden insgesamt von den IG-Ärzten positiv bewertet, die einzelnen Elemente konnten allerdings nicht in der gewünschten Intensität umgesetzt werden: Zwar nahmen 67 % der IG-Ärzte das Angebot monatlicher CED-Fallkonferenzen wahr, doch wurde nur eine von fünf angebotenen Patientenschulungen mit 17 Teilnehmern durchgeführt.

Unklar ist, inwieweit die für das Projekt entwickelte und in IG wie VG eingesetzte ärztliche Verlaufsdokumentation die ärztliche Versorgung in IG wie VG in vergleichbarer Weise beeinflusst haben könnte. Die Auswertung der sekundären Outcomes wurde noch nicht abgeschlossen, möglicherweise lassen sich hier explorativ Hinweise auf positive Effekte finden.