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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Die Situation in der häuslichen Versorgung dauerbeatmeter Patienten aus Nutzersicht

Meeting Abstract

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  • Christiane Schaepe - Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • Michael Ewers - Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP167

doi: 10.3205/15dkvf299, urn:nbn:de:0183-15dkvf2993

Published: September 22, 2015

© 2015 Schaepe et al.
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Hintergrund: Als Folge der Ambulantisierung werden auch in Deutschland Menschen mit schweren chronischen Erkrankungen vermehrt häuslich versorgt, darunter beispielsweise Patienten mit (schwerer) Ateminsuffizienz unterschiedlicher Ursache mit dauerhaftem therapeutisch-technischem und komplexem pflegerischen Unterstützungsbedarf. Aus epidemiologischer Sicht bilden sie eine relativ kleine, heterogene, aber wachsende Patientenpopulation. Zwischenzeitlich hat sich für diese dauerbeatmeten Patienten ein hochspezialisiertes und differenziertes häusliches Versorgungsangebot herausgebildet. Über die Situation in der technikintensiven häuslichen Spezialversorgung (High-Tech Home Care) ist wenig bekannt, auch nicht über die dabei zu bewältigenden alltäglichen Herausforderungen.

Fragestellung: Wie stellt sich die Situation invasiv dauerbeatmeter Patienten und ihrer Angehörigen in der technikintensiven häuslichen Spezialversorgung aus Nutzersicht dar und welche Herausforderungen stellen sich ihnen im Versorgungsalltag?

Methode: Im Rahmen eines qualitativen mehrstufigen Forschungsprojekts wurden in einer ersten Projektphase problemzentrierte semistrukturierte Interviews mit (non-)invasiv dauerbeatmeten Patienten (N=21) und ihren Angehörigen (N=14) aus zwei Regionen Deutschlands zur ihren Erfahrungen in der technikintensiven häuslichen Versorgung geführt. Die Erhebung und Auswertung der qualitativ-explorativen Daten erfolgten angelehnt an Prinzipien der Grounded Theory.

Ergebnisse: Die häusliche Versorgung dauerbeatmungspflichtiger Patienten ist ein aufwändiges und hochgradig komplexes Unterfangen – nicht zuletzt für die Nutzer selbst. Die in ihren Wohnungen oder in anderen Formen ausgelagerter Häuslichkeit (z.B. Wohngruppen oder Pflegewohnungen) lebenden Patienten, werden Rund-um-die-Uhr von examinierten Pflegenden betreut. Angehörige sind – sofern vorhanden – unterstützend, koordinierend und gelegentlich auch kontrollierend in die Versorgung eingebunden. Je nach den individuellen Lebensumständen erweist sich das dauerhafte Zusammenleben und Zusammenwirken der Patienten mit ihren formellen und informellen Helfer als schwierig. Da dauerbeatmete Patienten sowohl körperlich als auch in ihrer Kommunikationsfähigkeit erheblich eingeschränkt und auf Fremdhilfe angewiesen sind, spielt für sie die personalisierte Pflege und kontinuierliche Versorgung eine große Rolle. Vor diesem Hintergrund ist das häufig wechselnde und z.T. nicht ausreichend qualifizierte Pflegepersonal problematisch und zuweilen auch ein Sicherheitsrisiko. Der häusliche Alltag wird von den oftmals bettlägerigen Patienten einerseits als eintönig und gleichförmig beschrieben, andererseits wird von zahlreichen therapeutischen und pflegerischen Interventionen diverser professioneller Helfer und einem hohen Maß an Geschäftigkeit und nicht selten auch Fremdbestimmung berichtet. Schließlich droht eine Überlagerung und Transformation des privaten Lebensumfeldes durch die Technik und zahlreiche Pflegehilfsmittel.

Diskussionen: Gewährt wird ein interessanter Einblick in einen noch weitgehend verschlossenen Versorgungsbereich, der als Folge der Ambulantisierung weiter an Bedeutung gewinnen dürfte. Die 1:1 Betreuung durch qualifiziertes Pflegepersonal soll der besonderen Problem- und Bedarfslage der Patienten entsprechen, geht zugleich aber mit spezifischen Herausforderungen und auch Risiken für die Patienten und ihre Angehörigen einher. Nicht immer scheinen sie ihren individuellen Relevanzkriterien im häuslichen Versorgungsalltag Geltung verschaffen zu können. Als problematisch erweisen sich zudem die ungeklärten qualifikatorischen Voraussetzungen und beschränkten Kompetenzen der in der High-Tech Home Care eingesetzten Pflegenden. Die Einblicke aus Nutzersicht unterstreichen, dass eine empirisch gestützte und konzeptionell ausgerichtete Auseinandersetzung mit der krankenhausersetzenden Schwerkrankenversorgung hierzulande überfällig ist.

Praktische Implikationen: Gefragt sind patientenzentrierte und handlungsleitende Konzepte für eine technikintensive häuslichen Versorgung, die den spezifischen Lebensbedingungen der Patienten und Angehörigen entsprechen. Neben den mit dieser Versorgungsform verbundenen politischen, rechtlichen und ökonomischen Fragen, die es künftig zu beantworten gilt, werden auch der große Bedarf an Qualifikation und Praxisentwicklung auf Seiten der ambulanten Pflegedienste und anderer Leistungserbringer (Ärzte, Therapeuten) in der High-Tech Home Care zu beantworten sein.