gms | German Medical Science

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Therapietreue und Patient-Support-Programme im Indikationsgebiet „Multiple Sklerose“: Definitionen, Vermessung und Interdependenzen – eine systematische Literaturrecherche

Meeting Abstract

  • Katharina Kolbe - Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Hamburg, Deutschland
  • Julia Krumreich - Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Hamburg, Deutschland
  • Sascha Glanemann - Teva GmbH, Berlin, Deutschland
  • Josefine Glatte - Teva GmbH, Berlin, Deutschland
  • York F. Zöllner - Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Hamburg, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP137

doi: 10.3205/15dkvf248, urn:nbn:de:0183-15dkvf2486

Published: September 22, 2015

© 2015 Kolbe et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Outline

Text

Hintergrund: Multiple Sklerose (MS) ist, als neurologische Funktionsstörung mit vergleichsweise hoher Prävalenz (P > 200.000 Erkrankte in Deutschland) und ausgeprägtem Leidensdruck, von besonderer Relevanz für das Gesundheitswesen. Die Risikofaktoren sind nicht abschließend erforscht. Es ist wahrscheinlich, dass soziale und umweltbedingte Faktoren sowie genetische Prädisposition eine Rolle spielen. Vor dem Hintergrund einer indizierten Dauertherapie zur Behandlung der MS ist die Therapietreue zur Verlangsamung der Krankheitsprogression sowie zur Verzögerung auftretender Schübe von besonderer Bedeutung.

Fragestellung: Ziel der Studie ist es, ein Verständnis bzgl. der Einflussfaktoren hinsichtlich der Therapietreue (Adherence, Compliance, Persistence) von MS Patienten zu entwickeln. Ferner sollen Patient Support Programme (PSPs) als ein Ansatz zur Steigerung der Therapietreue näher auf ihren potentiell positiven Einfluss untersucht werden.

Methode: Systematische Literaturrecherche via PubMed. Als Ausschlusskriterien galten u.a. Durchführung im klinisch-kontrollierten Setting, Fallberichte, Meta-Analysen und Expertenmeinungen. Extraktion von Angaben zur Therapietreue sowie Informationen zu Patienten-Unterstützung, -Bildung und -Training. Qualitative oder semi-quantitative Erfassung gemäß Datenlage.

Ergebnisse: Es konnten 38 bzw. 33 verwertbare Arbeiten für die Teile Therapietreue respektive PSPs identifiziert werden. Adherence, Compliance und Persistence werden als Begrifflichkeiten der Therapietreue uneinheitlich in der aktuellen Literatur verwendet. Auch die genutzten Messmethoden zur Erfassung der Therapietreue unterscheiden sich voneinander und umfassen quantitative wie qualitative Methoden. Grenzwerte zur Differenzierung der Therapietreue innerhalb der Studien variieren stark, sodass bspw. eine „Therapieunterbrechung“ ein 1- bis 90-tägiges arzneimittelfreies Intervall bedeuten kann. Eine Vergleichbarkeit und weitergehende quantitative Analyse der Ergebnisse wird dadurch erschwert. Insgesamt beschreiben die Studien jedoch ähnliche Gründe einer fehlenden Therapietreue. Zu den häufigsten Nennungen zählen Befürchtung von Nebenwirkungen, Angst vor Selbst-Injektionen und schlichtes Vergessen von Selbst-Injektionen, ferner aber auch eine fehlende Überzeugung bzgl. eines Therapieerfolges.

Verschiedene MS-spezifische PSPs konnten identifiziert und klassifiziert werden. So existieren Programme mit den Schulungsschwerpunkten Aufklärung, computergestützte Kognition, Selbst- und Krankheitsmanagement, Energiekonservierung, Bewegung und Atemtechnik. Studien zeigten einen positiven Effekt auf krankheitsrelevante Merkmale wie Fatigue, Depressionen und Lebensqualität vorrangig durch solche Programme, die physische, psychische oder persönliche Betreuung beinhalteten sowie krankheitsrelevante Informationen bereitstellten. Zielführende Elemente der PSPs sind demnach Folgende: Hilfestellung bzw. Unterstützung durch Pflegepersonal; Vermittlung von Problemlösungsansätzen zur Bewältigung stetiger Veränderungen der Krankheitsprogredienz; Nutzung des Ansatzes der individuellen Zielsetzung zur Steigerung der Selbstwirksamkeit; Integration von Gruppendiskussionen zur Stärkung des sozialen Halts und des mentalen Empfindens.

In Bezug auf die Therapietreue können insbesondere Injektionstraining, Schwestern-Hilfe, pro-aktives Senden von krankheitsrelevanten Informationen und die Teilnahme an einem finanziellen Selbstbeteiligungsprogramm zu einer Verbesserung der Therapietreue beitragen.

Diskussion: Es liegt eine qualitative Auswertung der zugrundeliegenden Literatur vor, da die Heterogenität der Studien kein quantitatives Datenpooling erlaubt. Uneinheitliche Verwendung von Begrifflichkeiten, Definitionen und Messmethoden erschweren einen statistisch vergleichenden Überblick über die Therapietreue bei MS. Nur wenige Studien zu PSPs untersuchen die Therapietreue als relevantes Outcome. Widersprüche ergeben sich hinsichtlich einzelner Aussagen zu verschiedenen Einflussfaktoren auf die Therapietreue.

Praktische Implikation: Die uneinheitliche Verwendung von Begriffen sowie Messmethoden zur Therapietreue erschwert die Formulierung abschließender, evidenzbasierter Aussagen, sodass insgesamt weiterer Forschungsbedarf – unter Einsatz eines standardisierten Instrumentariums – festgestellt werden muss. Annähernd gesichert erscheint, dass sich MS-Patienten durch die Selbst-Injektionen und die kaum einzuschätzende Krankheitsprogression mit besonderen Herausforderungen konfrontiert sehen, die maßgeblichen Einfluss auf die Therapietreue nehmen. Die Akteure des Gesundheitswesens können PSPs nutzen, um die Therapietreue für ihr Patientenkollektiv durch begleitende und unterstützende Maßnahmen zu optimieren. Die vorliegende systematische Literaturrecherche liefert hierzu geeignete Erkenntnisse.