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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Semi-strukturiertes Interview im Kontext einer Fragebogen-gestützten Lebensqualitäts-Erhebung – welche Zusatzinformation wird gewonnen?

Meeting Abstract

  • Ayje Hotta Himpel - Universitätsklinikum Regensburg, Institut für Klinische Studien, Pneumologie, Regensburg, Deutschland
  • Christian Schulz - Universtitätsklinikum Regensburg, Innere Medizin II / Pneumologie, Regensburg, Deutschland
  • Hans-Stefan Hofmann - Universitätsklinikum Regensburg, Thoraxchirurgie, Regensburg, Deutschland
  • Dagmara Kulis - EORTC, Quality of Life Department, Brüssel, Belgien
  • Andrew Bottomley - EORTC, Quality of Life Department, Brüssel, Belgien
  • Michael Koller - Klinikum Universität Regensburg, Zentrum für Klinische Studien, Regensburg, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP033

doi: 10.3205/15dkvf240, urn:nbn:de:0183-15dkvf2402

Published: September 22, 2015

© 2015 Himpel et al.
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Text

Hintergrund: Die Datengewinnung fand im Rahmen einer klinischen Studie zur Aktualisierung des Fragebogenmoduls zur Erfassung der Lebensqualität (LQ) bei Lungenkarzinom, EORTC QLQ-LC13, statt. Gemäß den Richtlinien der EORTC Module Development Guideline soll ein semi-strukturiertes Interview zur Bewertung eines provisorischen Moduls durchgeführt werden.

Fragestellung: Die Aktualisierung des Fragebogenmoduls EORTC QLQ-LC13 soll der Optimierung der Messbarkeit der Lebensqualität und Patientenversorgung dienen. In dieser Studie wurde der Frage nachgegangen, welchen zusätzlichen Nutzen (im Sinne der Gewinnung von Zusatzinformation) ein semi-strukturiertes Interview im Anschluss an die Bearbeitung des aktualisierten Fragebogens bringt.

Methode: Von den Patienten wurde zunächst selbstständig der Kernfragebogen EORTC QLQ-C30, danach der krankheitsspezifische EORTC LC-13 Fragebogen samt den 35 neu hinzugekommenen Fragen beantwortet. Im Anschluss wurde ein semi-strukturiertes Interview in drei Schritten durchgeführt: Zuerst wurden alle Fragen des aktualisierten Moduls hinsichtlich Relevanz, Verständlichkeit und Aufdringlichkeit bewertet. Im zweiten Schritt wurden die Patienten nach ihren alltäglichen Lebensumständen und der Möglichkeit zur Selbstversorgung befragt. Im dritten Schritt wurden spontane Äußerungen der Patienten erfasst. Alle Angaben der Patienten wurden zeitgleich mitnotiert und später transkribiert und kodiert. Im Nachhinein wurden von der Studienärztin anhand der Antworten und des Gesamteindruckes Gesundheit und Lebensqualität des Patienten auf der siebenstufigen EORTC QLQ-C30 der Fragen 29 und 30 („globale Lebensqualität“ aus Arztsicht) beurteilt. Die Berechnungen wurden mit SPSS für Windows durchgeführt. Als Irrtumswahrscheinlichkeit wurde p < 0,05 (zweiseitig) festgelegt.

Ergebnisse: 50 Patienten mit histologisch gesichertem Lungenkarzinom wurden in die Studie aufgenommen. Das durchschnittliche Alter betrug 64 Jahre (Spannweite 39–91 Jahre). 64% der Patienten waren männlich. 78% der Patienten hatten ein NSCLC, hiervon 64% Stadium IV. 74% der Patienten wurden mit palliativem Therapieansatz behandelt.

Die mittlere globale Lebensqualität der Patienten anhand der EORTC Skala betrug Mean = 46,7 (SD = 21,1) und lag damit deutlich unter dem Referenzwert der deutschen Normbevölkerung von M = 70,8 (SD = 22,1). Noch kritischer fiel die Beurteilung der LQ durch die Studienärztin aus, M = 36,0 (SD = 18,2), p < 0.001. Die Spearman-Rank Korrelation zwischen Patienten- und Arzteinschätzung betrug r = .59, p < 0.001.

Im Arzt-Patienten-Gespräch äußerten Patienten folgende Inhalte, die nicht im Fragebogen vorkamen: relatives körperliches Wohlbefinden (n = 26), Schwerpunktsetzung auf ein Problem (n = 22), Akzeptanz der eigenen Vergänglichkeit (n = 17), durch Mimik ausgedrückte Stimmungslage (n = 12), Veränderungen im sozialen Miteinander (n = 12), Relativierung des jetzigen Gesundheitszustandes (n = 11), mit Lebensbiographie verbundene Ängste (n = 6), soziale Vergleichsprozesse (n = 5). Lediglich bei 5 Patienten wurde keine Zusatzinformation durch das semi-strukturierte Interview gewonnen.

Diskussionen: Die Fülle und Häufigkeit der zusätzlich geäußerten Inhalte macht deutlich, dass auch ein modifizierter nach den Standardmethoden erweiterter Fragebogen nicht alle Lebensbereiche abbilden kann. Die Zusatzinformationen wurden im Laufe der Befragung gewonnen. Ein Fragebogen kann somit eine gute Basis für ein Gespräch zwischen Patient und Arzt bilden. Es können einschneidende Erfahrungen des Patienten aufgedeckt werden. Die Kombination zwischen Bogen und nachfolgendem Gespräch bietet eine verbesserte Informationsfülle und kann der Planung von Therapiemaßnahmen, der Einbeziehung von Angehörigen und der Hilfestellung zur Krankheitsbewältigung dienen.

Mutmaßliche Einflussfaktoren auf Fülle und Dichte der Zusatzinformationen sind die Arzt-Patienten-Beziehung, die Offenheit der Patienten mit ihren Problemen, sowie der zeitliche Rahmen der Befragung.

Praktische Implikationen: Eine standardmäßige Durchführung der EORTC QLQ-Fragebögen scheint zur Optimierung der Patientenversorgung wünschenswert. Durch die Anwesenheit des behandelnden Arztes können entscheidende Zusatzinformationen gewonnen werden. Gezieltes Nachfragen könnte belastende Inhalte konkretisieren und Handlungsbedarf aufdecken. Der zeitliche Aufwand für ein semi-strukturiertes Interview sollte hierbei nicht außer Acht gelassen werden. Diesen gilt es im klinischen Alltag unterzubringen.