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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Patientensicherheit auf chirurgischen und internistischen Fachabteilungen – die Sicht der Patienten

Meeting Abstract

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  • Katja Stahl - Picker Institut Deutschland gGmbH, Hamburg, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP003

doi: 10.3205/15dkvf234, urn:nbn:de:0183-15dkvf2341

Published: September 22, 2015

© 2015 Stahl.
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Hintergrund: Die Literatur zum Auftreten patientensicherheitsrelevanter Ereignisse in Abhängigkeit vom medizinischen Fachgebiet ist uneinheitlich. Gleichzeitig zeigt die Forschung der letzten Jahre, dass die Perspektive der Patienten wichtige zusätzliche Hinweise auf bestehenden Handlungsbedarf bei Themen der Patientensicherheit geben kann.

Fragestellung: Wie erleben Patienten ausgewählte sicherheitsrelevante Versorgungsaspekte in deutschen Krankenhäusern? Unterscheiden sich diese Erfahrungen in Abhängigkeit von der Fachdisziplin?

Methode: Sekundärdatenanalyse eines Datensatzes zu Patientenerfahrungen in deutschen Krankenhäusern. Die Datenerhebung erfolgte mit Hilfe eines validierten Fragensets als poststationäre, postalische Befragung von erwachsenen Patienten akutsomatischer Abteilungen zwischen 2012 und 2014. Die Analyse der Patientenerfahrung erfolgte in Form einer deskriptiven Analyse des Patientenanteils mit negativen Erfahrungen (Problemhäufigkeiten), die Prüfung der Mittelwertunterschiede über den Student’s t-test für unabhängige Stichproben (Signifikanzniveau α=0,05).

Ergebnisse: Analysiert wurden die Angaben von mehr als 32.000 Patienten aus 56 verschiedenen Krankenhäusern. Die meisten Probleme zeigten sich im Bereich der Kommunikation: 33% der Patienten fühlten sich nicht adäquat in Entscheidungsprozesse eingebunden, 30% erhielten keine verständliche Erklärung ihrer Untersuchungsergebnisse, 16% erhielten widersprüchliche Aussagen von den betreuenden Fachkräften zu Erkrankung und Behandlung. Die Gelegenheit für Angehörige zu einem Gespräch mit dem Arzt erlebten 40% nicht als angemessen. Vor der Entlassung wurden 62% der Patienten nicht adäquat über Medikamentennebenwirkungen informiert, auf zu beachtende Gefahrensymptome wurden 43% nicht oder nur unzureichend hingewiesen. Mit Blick auf die Koordination der Betreuung berichten 31%, dass sie keinen für sie klar erkennbar zuständigen Arzt hatten, die medizinischen Unterlagen waren bei 23% der Patienten nicht verfügbar, wenn dies erforderlich war. Knapp 8% der Patienten hatten ihre Medikamente nicht wie angeordnet erhalten und 19% geben an, dass die Schmerzlinderung nicht optimal war. Über medizinische Komplikationen wie Stürze, das Entstehen von Dekubiti oder Patientenverwechslungen berichten Patienten selten (2-4%), allerdings beobachteten 18%, dass eine Händedesinfektion vor Verbandswechseln oder Untersuchungen seitens des Personals nicht immer erfolgte. Sowohl im Bereich der Kommunikation als auch bei sicherheitsrelevanten Prozessen und medizinischen Komplikationen sind die Rückmeldungen der chirurgischen Patienten signifikant positiver als die der internistischen Patienten, die größten Unterschiede finden sich bei den Themen Schmerzlinderung (+6%, p<0,001), Einbindung in Entscheidungen (+6%, p<0,001), verständliche Erklärung von Untersuchungsergebnissen (+4%, p<0,001), Verfügbarkeit medizinischer Unterlagen (+4%, p>0,001) sowie Händedesinfektion (+4%, p<0,001). Hingegen herrschte bei den chirurgischen Patienten signifikant seltener Klarheit über den zuständigen Arzt (-3%, p>0,001) und ein Entlassgespräch wurde mit ihnen seltener geführt (-6%, p<0,001).

Diskussion: Die Ergebnisse bestätigen die Resultate internationaler Untersuchungen, dass aus Patientensicht insbesondere im Bereich der Kommunikation mit den betreuenden Fachkräften ein deutlicher Handlungsbedarf besteht und damit in dem Bereich, den die Literatur als wichtigste menschlich bedingte Ursache für unerwünschte Ereignisse ausweist. Aber auch im Bereich der Koordination und Schmerzlinderung gibt es aus Patientensicht Verbesserungsbedarf. Die vorliegenden Ergebnisse stehen im Gegensatz zu den Hinweisen aus Analysen anderer Quellen, dass unerwünschte Ereignisse in chirurgischen Fachdisziplinen häufiger auftreten, Daten auf Basis von Patientenrückmeldungen hierzu konnten nicht identifiziert werden. Es ist nicht auszuschließen, dass der von den chirurgischen Patienten signifikant besser eingeschätzte subjektive Gesundheitszustand einen gewissen Einfluss auf das Antwortverhalten hatte. In der vorliegenden Stichprobe sind Krankenhäuser mit >500 Betten überrepräsentiert, darüber hinaus muss der bei schriftlichen Befragungen bekannte Bias bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden.

Praktische Implikationen: Maßnahmen zur Verbesserung der Kommunikation bergen ein großes Potenzial, die Versorgungsqualität und Patientensicherheit zu steigern. Die systematische Integration von Kommunikationstrainings in die grundständige Ausbildung aller Gesundheitsberufe sowie in berufsbegleitende Fortbildungen im Sinne eines lebenslangen Lernens ist daher erforderlich, ebenso wie eine feste Verankerung der Erhebung der Patientenperspektive in Strategien des klinischen Risikomanagements. Weitere Forschung nach den Ursachen für die Unterschiede zwischen den Fachabteilungen ist wünschenswert.