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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Psychische Beschwerden bei nahen Angehörigen von Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma und hoch-gradiger Subarachnoidalblutung: eine Pilot-Studie

Meeting Abstract

  • Stefan Rückriegel - Neurochirurgische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg, Würzburg, Deutschland
  • Marianne Baron - Neurochirurgische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg, Würzburg, Deutschland
  • Katharina Domschke - Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinikum Würzburg, Würzburg, Deutschland
  • Silke Neuderth - Institut für Psychologie, Julius- Maximilians-Universität Würzburg, Würzburg, Deutschland
  • Ekkehard Kunze - Neurochirurgische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg, Würzburg, Deutschland
  • Robert Nickl - Neurochirurgische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg, Würzburg, Deutschland
  • Thomas Westermaier - Neurochirurgische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg, Würzburg, Deutschland
  • Ralf-Ingo Ernestus - Neurochirurgische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg, Würzburg, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP115

doi: 10.3205/15dkvf205, urn:nbn:de:0183-15dkvf2057

Published: September 22, 2015

© 2015 Rückriegel et al.
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Text

Hintergrund: Nahe Angehörige von Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) und hoch-gradiger Subarachnoidalblutung (SAB) sind außergewöhnlichem Distress während der Behandlung ausgesetzt. Diese können zu psychischen Beschwerden innerhalb des Spektrums der post-traumatischen Belastungsstörung (PTBS), der Angststörung sowie der Depression liegen.

Fragestellung: Primäres Ziel der Studie war die Messung der Praevalenz und Schwere dieser Beschwerden bei nahen Angehörigen. Sekundäres Ziel der Studie war die Identifizierung von Assoziations-Faktoren mit der Schwere der psychischen Beschwerden.

Methode: Es wurden standardisierte Interviews mit 53 nahen Angehörigen (18 männlich, 35 weiblich, mittleres Alter: 57,7 ±11,4 Jahre) von Patienten mit SHT °III (n = 27) und hoch-gradiger SAB Hunt & Hess ° III – V (n = 26) zwischen drei und 15 Monaten nach Beginn der Behandlung durchgeführt. Die Interviews beinhalteten eine Batterie an Fragebögen, um die Beschwerden einer PTBS, einer Angststörung und einer Depression zu erheben. Hierzu wurden die Impact of Event Scale (IES-R), der 36-item Short-Form General Health Survey (SF-36), sowie die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) benutzt. Frühere psychische Belastungen und Coping Strategien wurden erfasst (List of Threatening Experiences, LTE und Brief Cope). Die Wahrnehmung der Qualität der Interaktion mit dem medizinischem Personal und der Einbezug in medizinische Entscheidungen wurden erfragt.

Ergebnisse: 53% (n = 28) der nahen Angehörigen zeigten IOES scores, die mit einer wahrscheinlichen Diagnose einer PTBS einhergehen. 47% (n = 25) der nahen Angehörigen zeigten einen erhöhten Score einer Angststörung, 34% (n = 18) einen erhöhten Score einer Depression gemessen mittels HADS. Das mittlere körperliche Component Summary des SF-36 lag mit 49,1 ±9,1 im Durchschnitt, jedoch lag der mittlere psychische Component Summary mit 41.0 ±13.2 deutlich unterhalb des Durchschnitts. Die Wahrnehmung der Qualität der Interaktion mit dem medizinischem Personal korrelierte negativ mit dem z-score der Subskala Angststörung (r = -0,29, p = 0,034, Spearman correlation) und der Subskala Depression des HADS (r = -0,32, p = 0,021). Bei Angehörigen, die an medizinischen Entscheidungen beteiligt waren, lagen die z-scores der Angststörung (p = 0,038, Mann-Whitnex-U test) und Depression (p = 0,029) gemessen mittels HADS signifikant niedriger. Vermeidende Coping Strategien waren deutlich mit den z-scores der Angststörung (r = 0,51, p < 0,001) und Depression gemessen mittels HADS (r = 0,4, p = 0,003), mit dem Score des IOES (r = 0,343, p = 0,012), und mit dem körperlichen Component Summary des SF-36 (r = -4,77, p < 0,001) assoziiert.

Diskussion: Diese Studie zeigte zum ersten mal, dass ein großer Anteil der nahen Angehörigen von Patienten mit akuter Schädigung des Gehirns durch ein SHT oder eine SAB auch nach dem Abschluss der Akut-Behandlung an erheblichen psychischen Beschwerden leidet. Modifizierbare Faktoren wie Coping Strategien und Wahrnehmung der Qualität der Interaktion mit dem medizinischem Personal waren mit der Schwere der psychischen Beschwerden assoziiert, sodass hier möglicherweise präventive und therapeutische Strategien ansetzen könnten.

Praktische Implikationen: Nahe Angehörige von Patienten mit schwerer Schädigung des Gehirns haben ein hohes Risiko psychische Beschwerden durch den emotionalen Disstress während der Behandlungsphase zu entwickeln. Daher sollte während der Behandlung der Patienten in besonderer Weise Wert auf die Interaktion mit nahen Angehörigen gelegt werden, sowie eine Anleitung zu positiven Coping Strategien und eine gezielte Nachbetreuung der nahen Angehörigen erfolgen. Prospektive Studien zur Überprüfung der Effektivität einer frühen psychotherapeutischen Intervention sind notwendig.