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Versorgungsformen und Hilfe zur Pflege – Pflegende Angehörige als Einflussfaktor der kommunalen Ausgabenentwicklung in NRW bis 2030
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Published: | September 22, 2015 |
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Hintergrund: Für die Bundesrepublik Deutschland wird bis 2030 ein Anstieg der Pflegebedürftigen auf über 3,4 Millionen prognostiziert [1]. Diese Entwicklung wird auch zu wachsenden Sozialhilfeausgaben, insbesondere der Hilfe zur Pflege führen und stellt Landkreise respektive kreisfreie Städte als Grundsicherungsträger vor eine große Herausforderung. Schon heute beträgt der Anteil der Hilfe zur Pflege mit 3,2 Mrd. Euro rund 14% der Sozialhilfeausgaben [2].
Fragestellung: Ziel der Studie war es, die ökonomischen Auswirkungen zunehmender Pflegebedürftigkeit auf die Ausgaben der öffentlichen Hand für Hilfe zur Pflege bis 2030 hochzurechnen. Dies sollte beispielhaft für zwei strukturverschiedene Kreise im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW erfolgen (Kreis Mettmann, Märkischer Kreis) und die Entwicklung der Pflegeversorgungsformen (häuslich, ambulant, stationär) berücksichtigen.
Methode: Zur Prognose wurden vier Szenarien auf Basis unterschiedlicher Annahmen zum Potential pflegender Angehöriger entwickelt und mittels linearer Trendextrapolation berechnet [3]. Die Annahmen reichten von einer gleichbleibenden Entwicklung der aktuellen Anteile der Versorgungsformen (Szenario I) bis zu einer jährlichen Abnahme des Anteils häuslicher Pflege um 1% (Szenario IV). Grundlage bildeten Daten der Bundes- und NRW-Statistik zu Pflegebedürftigkeit, Bevölkerungsentwicklung, Empfängerzahlen und Sozialhilfeausgaben. Um die Ausgaben an die jährliche Preisentwicklung anzupassen, wurde die gemittelte Inflationsrate von 2005-2014 herangezogen.
Ergebnisse: Die kreisbezogene Hochrechnung der Ausgabenentwicklung für die Sozialleistung Hilfe zur Pflege zeigt unter Annahme gleichbleibender Strukturen eine erhebliche Dynamik. Für alle Szenarien ergibt sich ein deutlicher Anstieg der Ausgaben für Hilfe zur Pflege. Für den Kreis Mettmann wird bis 2030 ein Anstieg der Nettoausgaben um bis zu 159%, für den Märkischen Kreis um bis zu 120% (jeweils Szenario IV) prognostiziert. Im Vergleich der Szenarien können 24% (Märkischer Kreis) bis 28% (Kreis Mettmann) der Ausgaben für Hilfe zur Pflege im Jahr 2030 durch Variationen des Anteils der häuslichen Pflege erklärt werden.
Diskussion: Neben der Altersstruktur der Bevölkerung ist die Möglichkeit, Fähigkeit und Bereitschaft der Bevölkerung zur Pflege von Angehörigen, hier durch die Szenarioannahmen zur Entwicklung der häuslichen Pflege dargestellt, ein wesentlicher Treiber der zukünftigen Ausgabenentwicklung der Kreise für Hilfe zur Pflege. Einschränkend ist kritisch auf die Limitationen der Studie wie die linear unterstellte Ausgabenentwicklung, die Wahl berücksichtigter Determinanten und die Annahmen der Zukunftsszenarien hinzuweisen. Darüber hinaus wurden keine bevölkerungsgruppenspezifischen Unterschiede bei der Gewährung von Hilfe zur Pflege, beispielsweise mittels sozioökonomischer Daten, berücksichtigt.
Praktische Implikationen: Die Ergebnisse verdeutlichen die Relevanz des erwarteten Anstiegs der Pflegebedürftigkeit für die kommunalen Ausgaben der Hilfe zur Pflege. Durch Szenarien mit variierenden Annahmen zum Potential der häuslichen Pflege wird die Bedeutung dieser Versorgungsform und damit der Gruppe der pflegenden Angehörigen für die Ausgabenentwicklung der Kreise sichtbar. Die Ergebnisse legen nahe, dass Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige einen Beitrag zur Begrenzung der altersstrukturbedingt erwarteten Steigerungen von Sozialausgaben für Hilfe zur Pflege leisten können. Für die Kreise ist dies besonders relevant, da in NRW mit dem 2014 in Kraft getretene GEPA die ambulante und häusliche Pflege gestärkt sowie pflegende Angehörige als Anspruchsgruppe besonders fokussiert werden [4]. Unklar bleibt, welche Maßnahmen zu welchen ökonomischen Effekten führen könnten. Hier sind weitere Forschungen zu den Bedarfen pflegender Angehöriger, Bekanntheit und Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten sowie Wirkungsmessung erforderlich.
Hinweis: Die Studie wurde durch Mittel des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen und des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung im Rahmen des Projekts Quart-UpA gefördert (FKZ: 005-GW03-143).
Literatur
- 1.
- Statistisches Bundesamt. Demografischer Wandel in Deutschland – Auswirkungen auf Krankenhausbehandlungen und Pflegebedürftige. (Heft 2). Wiesbaden; 2010.
- 2.
- Statistisches Bundesamt. Statistik der Sozialhilfe - Hilfe zur Pflege 2012. Wiesbaden; 2015.
- 3.
- Fink A, Schlake O. Scenario management – an approach for strategic foresight. Competitive Intelligence Review. 2000;11(1):37-45.
- 4.
- Gesetz zur Entwicklung und Stärkung einer demographiefesten, teilhabeorientierten Infrastruktur und zur Weiterentwicklung und Sicherung der Qualität von Wohn- und Betreuungsangeboten für ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen. Gesetz- und Verordnungsblatt NRW. 2014;29:619-654.