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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Der potenzielle Beitrag opportunitätsbasierter Sozialindikatoren für die gesundheitliche Ungleichheitsforschung

Meeting Abstract

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  • Nina-Alexandra Götz - Universität Osnabrück, New Public Health, Osnabrück, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP017

doi: 10.3205/15dkvf185, urn:nbn:de:0183-15dkvf1854

Published: September 22, 2015

© 2015 Götz.
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Hintergrund: Zusammenhänge zwischen sozialer Ungleichheit und Gesundheit werden bisher überwiegend in sozialepidemiologischen Studien mit den „traditionellen“ Sozialindikatoren wie Einkommen oder dem höchsten erreichtem Bildungsstand untersucht. Derartige Operationalisierungen sozialer Ungleichheitsmaße bzw. Deprivationszustände werden in anderen Fachdisziplinen bereits kontrovers diskutiert. Soziologische Sozialstrukturanalysen befassen sich seit ca. der 1980er Jahren mit der Frage, welche Indikatoren geeignet sind, um soziale Ungleichheit möglichst realitätsnah abzubilden. In bisherigen sozialepidemiologischen Studien werden jedoch v.a. Klassen- bzw. Schichtmodelle und nur vereinzelt neuere Milieu- und Lebensstilmodelle eingesetzt, um soziale Ungleichheiten darzustellen und in Zusammenhang mit Ursache- Wirkungsketten für Morbiditäts- und Mortalitätszahlen zu setzen. Einen neueren Beitrag hierzu leistet das theoretische Konstrukt des „Capability Approaches“ (CAs) von Amartya Sen. Die Operationalisierung des CAs mittels Primärdaten blieb bisher aus. Der CA kritisiert die alleinige Verwendung von output-orientierten Sozialindikatoren wie Einkommen und plädiert Handlungs- und Entscheidungsfreiheiten sowie -möglichkeiten in die Evaluation von Lebenssituationen miteinzubeziehen. Dies sind die sogenannten Verwirklichungschancen, die laut Sen, potentiell ein präziseres Bild sozialer Ungleichheit abbilden können.

Fragestellung: Die forschungsleitende Frage ist, ob der theoretische Rahmen des CAs einen innovativen bzw. erweiternden Erklärungsansatz für die Zusammenhänge zwischen Deprivationszuständen und Gesundheit liefern kann. Vor dem Hintergrund der These, dass vor allem in der zweiten Lebenshälfte alternative bzw. opportunitätsbasierte Sozialindikatoren eine fundamentale Bedeutung haben könnten, sollen derartige Indikatoren identifiziert und untersucht werden.

Methode: Auf Grund des erst wenig empirisch untersuchten Feldes von Capabilities wird ein Multi-Methoden-Ansatz mittels eines qualitativ-quantitativem Studiendesigns eingesetzt. Im ersten Schritt des qualitativen Designs wurden neun Interviews mit Personen ab dem 58. Lebensjahr geführt. Die Interviews wurden nach der „Qualitativen Inhaltsanalyse“ von Mayring ausgewertet. Hieraus resultiert ein umfassendes Kategorien- bzw. Indikatorensystem. Das Indikatoren-Set wurde in einem folgenden Schritt mittels einer Delphi-Befragung mit vier ExpertenInnen validiert und konsentiert. Im nächsten Schritt des Studienvorhabens findet eine quantitative Erhebung statt. Hierbei wird ein standardisierter Fragebogen innerhalb einer repräsentativen (in Bezug auf die Faktoren Alter und Geschlecht) Einwohnermeldeamtstichprobe in der Bevölkerung der Stadt Osnabrück ab dem 61. Lebensjahr eingesetzt werden.

Ergebnisse: Aus der qualitativen Studienphase resultieren vier grundlegende Dimensionen inkl. Subdimensionen für Wohlfahrtsindikatoren, die notwendige „Capabilities“ für den „gelingenden“ Alterungsprozess abbilden:

  • Lebenssinnkonstrukt
    • Intrinsisch egozentrisches Konzept
    • Extrinsisch motivationales Konzept
  • Soziales
    • Partizipationsmöglichkeit und -fähigkeit
    • Soziales Unterstützungsnetzwerk
  • Resilienzen
    • Intrinsische Resilienzen
    • Extrinsische Resilienzen
  • Alltägliche Lebensführungskompetenzen
    • Wissen/ Kenntnisse
    • Ermöglichungsstrukturen

Erste Ergebnisse aus dem qualitativen Studienteil ergaben, dass opportunitätsbasierte Indikatoren wie physische Zugänglichkeit zu medizinischen Versorgungsleistungen oder Mobilitätsmöglichkeiten als essentiell bedeutend für den „gelingenden“ Alterungsprozess eingeschätzt werden. Die Operationalisierung von notwendigen „Capabilities“ für die Bestimmung von Lebensqualität im Alter ist demnach nicht adäquat mit den bisherig verwendeten Sozialindikatoren in sozialepidemiologischen Studien vereinbar. Eine Erweiterung der bisherig erhobenen Sozialindikatoren in der Versorgungsforschung scheint überlegenswert.

(Erste Ergebnisse aus dem quantitativen Studienteil werden voraussichtlich zum Zeitpunkt des Kongresses vorliegen. Andernfalls wird der Zwischen- bzw. „Work-in-Progress“- Stand der Studie vorgestellt werden).

Diskussion: Die Zusammenhänge zwischen derartigen opportunitätsbasierten Indikatoren und gesundheits- resp. krankheitsbezogenen Faktoren sind noch zu belegen. Die Ergebnisse des quantitativen Studienvorhabens indizieren potentiell zielgruppenspezifischen Interventionsbedarf zur Verringerung sozialer Ungleichheit.