gms | German Medical Science

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Polypharmazie, eingeschränkte Nierenfunktion und daran angepasste Medikation bei Pflegeheimbewohnern – Ergebnisse der IMREN-Studie

Meeting Abstract

  • Michael Dörks - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Fakultät VI - Medizin und Gesundheitswissenschaften Department für Versorgungsforschung, Oldenburg, Deutschland
  • Daniela Boeschen - Universität Bremen, Zentrum für Sozialpolitik Abteilung: Gesundheitsökonomie, Gesundheitspolitik und Versorgungsforschung, Bremen, Deutschland
  • Jana Petersen - Universität Bremen Zentrum für Sozialpolitik, Gesundheitsökonomie, Gesundheitspolitik und Versorgungsforschung, Bremen, Deutschland
  • Guido Schmiemann - Universität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung Abteilung 1: Versorgungsforschung, Bremen, Deutschland
  • Stefan Herget-Rosenthal - Rotes Kreuz Krankenhaus, Medizinische Klinik, Bremen, Deutschland
  • Falk Hoffmann - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Fakultät VI - Medizin und Gesundheitswissenschaften Department für Versorgungsforschung, Oldenburg, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP098

doi: 10.3205/15dkvf181, urn:nbn:de:0183-15dkvf1812

Published: September 22, 2015

© 2015 Dörks et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Outline

Text

Hintergrund: In Deutschland leben etwa 800.000 Menschen in Pflegeheimen. Diese Population ist durch ein hohes Maß an chronischen Erkrankungen sowie körperliche und kognitive Einschränkungen gekennzeichnet. Nach der internationalen Literatur liegt bei Pflegeheimbewohnern der Anteil Betroffener mit einer eingeschränkten Nierenfunktion, definiert über eine geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) von <60 ml/min, sehr hoch. Verlässliche Zahlen für Deutschland fehlen jedoch bisher. Zudem erhalten Pflegeheimbewohner für ihre häufigen Begleiterkrankungen oftmals eine Polypharmazie. Da etwa die Hälfte aller Medikamente renal eliminiert wird, steigt gerade bei diesem Kollektiv das Risiko einer inadäquaten Pharmakotherapie erheblich.

Fragestellung: Diese Studie untersucht, wie oft Pflegeheimbewohner in Deutschland eine eingeschränkte Nierenfunktion und Polypharmazie aufweisen und ob Polypharmazie mit einer nicht an die Nierenfunktion angepassten Medikation assoziiert ist.

Methode: Bei dem Projekt „Inappropriate medication in patients with renal insufficiency in nursing homes“ (IMREN) handelt es sich um eine multizentrische Querschnittsstudie, die zwischen Oktober 2014 und April 2015 in Pflegeheimen in Bremen und dem niedersächsischen Umland durchgeführt wird und die etwa 850 Bewohner einschließen soll. Polypharmazie wurde basierend auf der Dauermedikation in drei Kategorien untersucht: keine Polypharmazie (gleichzeitiger Gebrauch von weniger als fünf Arzneimitteln), Polypharmazie (gleichzeitiger Gebrauch von fünf oder mehr Arzneimitteln) und exzessive Polypharmazie (gleichzeitiger Gebrauch von zehn oder mehr Arzneimitteln). Die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) wurde auf Basis vorhandener Laborwerte mittels Cockcroft-Gault-Formel berechnet und die Nierenfunktion in vier Stadien eingeteilt: schwere Einschränkung (eGFR<30 ml/min), moderate Einschränkung (eGFR>=30 und <60 ml/min), milde Einschränkung(eGFR>=60 und <90 ml/min) und normale Funktion (eGFR>=90 ml/min). Auf Basis der Angaben in den Fachinformationen wurde beurteilt, ob ein Arzneimittel an die jeweilige Nierenfunktion angepasst war.

Ergebnisse: Aktuell liegen die Daten von 718 Bewohner aus 18 Heimen vor, davon 570 (79,4%) mit eGRF-Werten (Durchschnittsalter: 83,7 Jahre; 77,0% weiblich). Von diesen wiesen 16,8% eine stark eingeschränkte, 50,0% eine moderat eingeschränkte, 21,2% eine mild eingeschränkte, sowie 11,9% eine normale Nierenfunktion auf. Fünf (0,9%) der 570 Patienten erhielten keine Arzneimittelverordnung. Die verbleibenden 565 Patienten nahmen im Durchschnitt 9,0 Dauer- und Bedarfsmedikamente ein (SD: 4,2, Min: 1, Max: 24). Von diesen nahmen 559 Patienten mindestens eine Dauermedikation ein. Eine Polypharmazie wiesen 409 (73,2%) Patienten auf, davon 95 (17,0%) eine exzessive Polypharmazie. Am häufigsten waren Verordnungen über Acetylsalicylsäure (6,1%), gefolgt von Pantoprazol (4,7%) und Ramipril (3,6%). Bei ungefähr der Hälfte aller Verordnungen (51,0%) war eine Anpassung der Dosis an die Nierenfunktion notwendig, bei 147 (7,8%) dieser Verordnungen ist keine Dosisanpassung erfolgt. Von den 559 Patienten mit Dauermedikation erhielten 84 (15,0%) mindestens ein Arzneimittel, das bei vorliegender Nierenfunktion kontraindiziert war, am häufigsten betraf dieses Metformin (19,4%), Hydrochlorothiazid (10,2%) und Kaliumchlorid (7,1%).

Diskussion: Bei Pflegeheimbewohnern in Deutschland liegen häufig eine eingeschränkte Nierenfunktion und Polypharmazie vor. Viele Arzneimittel mussten bei eingeschränkter Nierenfunktion in ihrer Dosierung angepasst werden. Kontraindikationen müssen nicht zwangsläufig für den individuellen Einzelfall zutreffen, wenn das individuelle Nutzen-Risiko-Verhältnis abgewogen wird. Dies konnte jedoch in unserer Studie nicht beurteilt werden. Bisher liegen nur Zwischenergebnisse vor, zum Kongress wird die Studie abgeschlossen sein.

Praktische Implikationen: Pflegeheimbewohner weisen häufig eine eingeschränkte Nierenfunktion auf, weshalb regelmäßig Kreatininwerte bestimmt werden sollten. Erst dann kann beurteilt werden, ob Dosisanpassungen erforderlich sind. Im ärztlichen Alltag existiert bisher keine eindeutige und komprimierte Zusammenstellung, der die Notwendigkeit einer Anpassung und die tatsächliche Dosierung bei eingeschränkter Nierenfunktion entnommen werden kann. Hierzu sollte eine Leitlinie erstellt werden.