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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Adhärenz von Kindern und Jugendlichen mit akuter lymphoblastischer Leukämie in der Erhaltungstherapie

Meeting Abstract

  • Kerstin Kremeike - Medizinische Hochschule Hannover, Netzwerk für die Versorgung schwerkranker Kinder und Jugendlicher e.V., Hannover, Deutschland
  • Christopher Jürgens - Medizinische Hochschule Hannover, Zentralapotheke, Hannover, Deutschland
  • Heike Alz - Medizinische Hochschule Hannover, Zentralapotheke, Hannover, Deutschland
  • Dirk Reinhardt - Universitätsklinikum Essen, Klinik für Kinderheilkunde III, Essen, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP074

doi: 10.3205/15dkvf171, urn:nbn:de:0183-15dkvf1712

Published: September 22, 2015

© 2015 Kremeike et al.
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Text

Hintergrund: Die akute lymphoblastische Leukämie (ALL) ist die häufigste bösartige Erkrankung im Kindes- und Jugendalter mit einer aktuellen Heilungsrate von etwa 90%. Die Erhaltungstherapie als letzte Phase der Behandlung umfasst eine mildere ambulante Chemotherapie über etwa 1,5 Jahre. Eine tägliche, angepasst dosierte Gabe von 6-Mercaptopurin (6-MP) und Methothrexat (MTX) wöchentlich, ergänzt durch Cotrimoxazole (Cotrim) zur Vorbeugung einer Pneumocystis carinii, ist hierbei entscheidend für ein optimales Therapieergebnis, relevante Abweichungen könnten mit gesteigerten Rezidiv- oder Nebenwirkungsrisiken einhergehen. Die Einstellung der Therapie erfolgt durch den behandelnden Arzt mittels Dosisanpassung der Medikamente in Abhängigkeit von der Leukozytenzahl im Blut. Die entsprechende Wirkstoffverfügbarkeit hängt stark von der richtigen Medikamenteneinnahme ab, die die Patienten selbst oder ihre Eltern eigenverantwortlich durchführen.

Fragestellung: Identifikation von Faktoren, die die Adhärenz von Patienten und ihren Familien in der ALL-Erhaltungstherapie beeinflussen.

Methode: Von 11/2011 bis 10/2014 fand eine Mixed Methods-Erhebung unter Patienten der kinderonkologischen Ambulanz der Medizinischen Hochschule Hannover in der Erhaltungstherapie statt. Standardisierte Fragebogen und semi-strukturierte Interviews thematisierten dabei die Medikation während der Erhaltungstherapie sowie sozio-demographische Angaben.

Neben der deskriptiven Auswertung der Fragebogen wurden Unterschiede zwischen Gruppen mit einem Signifikanzniveau von 0.05 untersucht. Die Interviews wurden inhaltsanalytisch ausgewertet.

Ergebnisse: Die Eltern von 33 Patienten (13 weiblich, 20 männlich; Alter bei Erstdiagnose: 1–16 Jahre) füllten einen Fragebogen aus, 27 dieser Eltern stimmten einem ergänzenden Interview zu (Dauer: 10–59 min.). Der Klinikarzt wurde dabei von allen Eltern als wichtige Informationsquelle über die Medikamenteneinnahme während der Erhaltungstherapie benannt. Daneben nannten 49% (16) der Eltern den Apotheker als Informationsquelle, 46% (15) Krankenschwestern und 39% (13) den Hausarzt.

33% der Eltern (7/31; keine Angabe = 2) gaben an, dass die Patienten das MTX nicht immer exakt nach Vorgabe eingenommen hatten, 12% (4/33) sagten dies über 6-MP und 27% (6/33) über Cotrim. Insgesamt benannten 36% (12/33) der Befragten mindestens eine Abweichung bei der Einnahme.

Die Beschaffenheit des Medikaments MTX wurde von 48% (15/31) der Eltern nur mit zufriedenstellend oder schlechter bewertet (3–6 auf einer 6er-Likert-Skala), von 46% (15/33) für 6-MP und 63% (20/33) für Cotrim. 47% der Eltern bewerteten die Information über die Einnahme für alle abgefragten Medikamente als lediglich zufriedenstellend oder schlechter (14/30 für MTX; 15/32 für 6-MP; 15/33 für Cotrim). Signifikante Zusammenhänge zeigten sich zwischen der Adhärenz und einer positiven Bewertung der Medikamenteneigenschaften (p=0.043) sowie der Information über die Medikation während der Dauertherapie (p=0.002). Das Alter der Patienten, der Bildungsgrad der Eltern sowie der Umfang ihrer Berufstätigkeit zeigten keinen Zusammenhang mit der Adhärenz.

56% (15/27) der Interviewten berichteten von Problemen bei der Medikamenteneinnahme, besonders wegen der MTX-Tabletten-Größe und des Cotrim-Saft-Geschmacks. Andere benannte Probleme waren das Einhalten unterschiedlicher Einnahmezeiten bei Mehrfachmedikation, Personenschutz der Eltern bei der Medikamentengabe (z.B. Tragen von Handschuhen), aber auch widersprüchliche Informationen über die richtige Einnahme der Medikamente durch das klinische Personal bzw. die Packungsbeilage und daraus resultierende Unsicherheiten.

Diskussionen: Neben der Beschaffenheit der Medikamente zeigten sich Information und Schulung der Familien zur Durchführung der ALL-Therapie als wichtige Einflussfaktoren für die Adhärenz. Die Medikamenteneigenschaften sollten hier soweit wie möglich an die Patientenbedürfnisse angepasst werden. Bestehende Probleme der Eltern, konsistente Informationen zur Erhaltungstherapie zu bekommen und diese umzusetzen, begründen sich u.a. in divergierenden Studienergebnissen zum Einfluss des Einnahmezeitpunkts sowie bestimmter Nahrungsmittel auf die Bioverfügbarkeit von MTX und 6-MP. Die Bereitstellung systematisch aufbereiteter Informationen kann hier entscheidend zu einem optimalen Therapieverlauf beitragen. Dem Klinikarzt als wichtigste Informationsquelle der Familien kommt dabei eine zentrale Rolle zu.

Praktische Implikationen: Um die Ergebnisse der vorliegenden Studie zu validieren und die Beratungspraxis in der ALL-Erhaltungstherapie zu optimieren, ist geplant eine größere Anzahl von Patienten und Zentren in eine Folge-Studie einzuschließen, die die Entwicklung und multizentrische Implementierung von Beratungsstandards sowie die Untersuchung der Wirkung der Intervention umfassen soll.