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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Einstellungen von Patientinen und Patienten zu Zuzahlungen als Steuerungsinstrument

Meeting Abstract

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  • Wolfram J. Herrmann - Charité Universitätsmedizin Berlin / Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Institut für Allgemeinmedizin, Berlin/Magdeburg, Deutschland
  • Alexander Haarmann - Universität Bremen/Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, BIGSSS/Institut für Allgemeinmedizin, Bremen/Magdeburg, Deutschland
  • Anders Bærheim - University of Bergen, Department of Global Public Health and Primary Care, Bergen, Norwegen

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocFV57

doi: 10.3205/15dkvf145, urn:nbn:de:0183-15dkvf1458

Published: September 22, 2015

© 2015 Herrmann et al.
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Hintergrund: Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen sind ein häufig angewendetes Steuerungsinstrument in der Gesundheitsversorgung. Neben der Steuerungsfunktion haben Sie dabei auch eine Finanzierungsfunktion innerhalb des Gesundheitssystems. Zuzahlungen als Steuerungsinstrument setzen eine Beurteilbarkeit der medizinischen Notwendigkeit des zu steuernden Elements – z.B. von Inanspruchnahme – durch Patienten ebenso voraus, wie dass das zu steuernde Element durch Patienten beeinflussbar ist. Wenn Zuzahlungen eine Steuerungsfunktion auf das Handeln von Patienten haben sollen, spielen dabei die subjektiven Sichtweisen von Patienten auf Zuzahlungen eine zentrale Rolle.

Fragestellung: Welche Einstellungen haben Patienten hinsichtlich Zuzahlungen als Steuerungsinstrument?

Methode: In einer qualitativen Studie führten wir mit insgesamt vierzig Patientinnen und Patienten in Deutschland und Norwegen episodische Interviews. Die Patienten wurden anhand theoretischer Kriterien gesamplet und die deutschen und norwegischen Patienten hinsichtlich dieser Kriterien gematcht. Darüber hinaus führten wir teilnehmende Beobachtungen in Hausarztpraxen und eine Kontextanalyse durch. Die qualitativen Daten wurden orientiert an der Grounded Theory mittels thematischen Kodierens analysiert. Dabei wurde in einem schrittweisen Prozess aus dem Material eine thematische Struktur mit Kodierungen von Textsegmenten und Fallbeschreibungen entwickelt. Darauf aufbauend wurde eine Typologie der Einstellungen zu Zuzahlungen als Steuerungsinstrument konstruiert und die Fälle diesen Typen zugeordnet.

Ergebnisse: Die Studienteilnehmer hatten hinsichtlich der Finanzierung des Gesundheitssystems allgemein und zu Zuzahlungen im Speziellen konkrete Sichtweisen und Haltungen auf unterschiedlichem Abstraktionsniveau. Hinsichtlich der Sichtweisen zu Zuzahlungen ließen sich drei Typen mit einem zusätzlichen Subtyp konstruieren. Dabei variierte die wahrgenommene Steuerungswirkung von Zuzahlungen über die Typen:

Patienten von Typ 1 sehen einen Einfluss von Zuzahlungen auf ihr eigenes Verhalten, Patienten von Typ 2 sehen einen Einfluss von Zuzahlungen auf das Verhalten anderer, jedoch nicht auf ihre eigenes, und Patienten von Typ 3 und dessen Subtyp 3a sehen keinen Einfluss von Zuzahlungen auf Inanspruchnahme. Die Bedeutung der Typen unterscheidet sich dabei in dem qualitativen Sample zwischen Deutschland und Norwegen mit der größten Bedeutung von Typ 2 in Deutschland und Typ 3 in Norwegen.

Zuzahlungen werden dabei von den befragten norwegischen Patienten überwiegend als ein Finanzierungsinstrument ohne Steuerungswirkung wahrgenommen, während bei den befragten deutschen Patienten eine diffuse Wahrnehmung zwischen Finanzierungs- und Steuerungsinstrument überwiegt.

Diskussion: In den Einstellungen zu Zuzahlungen spiegeln sich eigene Erfahrungen, die Geschichte der Einführung von Zuzahlungen im jeweiligen Land, sowie soziale Repräsentationen wider. Dabei können die Einstellungen von Patienten Erklärungsansätze für das Gelingen oder Scheitern von Zuzahlungen bieten.

Das qualitative Studiendesign ermöglicht die Konstruktion einer Typologie, jedoch keine Aussage über quantitative Zusammenhänge. Daher soll im Anschluss eine quantitative Operationalisierung der Typologie erfolgen, anhand derer quantitative Zusammenhänge überprüft werden können.

Praktische Implikationen: Die unterschiedliche Wahrnehmung und Beurteilung in den beiden Untersuchungsländern zeigt kulturelle und gesellschaftliche Unterschiede als Faktoren der Wirkung von Zuzahlungen auf. Daher müssen bei der Beurteilung und Implikation von Zuzahlungen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen explizit mitbeachtet und angesprochen werden. In der Diskussion über Zuzahlungen muss auch deshalb zwischen der Finanzierungsfunktion und der Steuerungsfunktion unterschieden werden. Insbesondere in der Kommunikation mit Bürgern und Patienten sollte diese Unterscheidung klar getroffen werden und die Kommunikationsstrategien entsprechend angepasst sein.