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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Nutzung von eHealth-Services – Empirische Analyse des Entscheidungsprozesses aus Nutzer- bzw. Patientensicht

Meeting Abstract

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  • Isabel Ramtohul - Universität Bayreuth, Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften, Bayreuth, Deutschland
  • Anna-Maria Weiß - Universität Bayreuth, Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften, Bayreuth, Deutschland
  • Klaus Nagels - Universität Bayreuth, Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften, Bayreuth, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocFV56

doi: 10.3205/15dkvf144, urn:nbn:de:0183-15dkvf1441

Published: September 22, 2015

© 2015 Ramtohul et al.
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Hintergrund: Die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien im Gesundheitssektor stößt in Forschung und Praxis seit Längerem international auf großes Interesse (Black et al. 2011). Dies ist insbesondere auf die Herausforderungen des demografischen und epidemiologischen Wandels auf der einen Seite und das Entwicklungspotenzial für innovative Gesundheitsleistungen bedingt durch den technischen Fortschritt auf der anderen Seite zurückzuführen. Bislang konnten für eHealth-Services unterschiedliche Nutzenaspekte nachgewiesen werden: Medizinscher Nutzen, z.B. Reduzierung der allgemeinen Mortalität (Polisena et al. 2010), verminderte Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen, z.B. Reduzierung der Hospitalisierungsrate (Inglis et al. 2010), Steigerung der Patientenzufriedenheit und Lebensqualität (Cusack/Tailor 2010; Deshpande et al. 2009) sowie Kosten-Effektivität (Klersy et al. 2011). Trotz dieser nachgewiesenen Nutzenaspekte war die Implementierung und Verbreitung von eHealth-Services im Versorgungsalltag bisher in vielen Fällen langsam und insgesamt kaum prognostizierbar (Berwick 2003). Der Entscheidung zur erstmaligen Nutzung (Adoption) eines neuartigen eHealth-Services kommt dabei eine hohe Bedeutung zu. Daher ist es nicht nur notwendig, für diese Adoptionsprozesse relevante Faktoren wie Vertrauen in den Service-Anbieter, Benutzerfreundlichkeit oder Nutzen von eHealth-Services zu identifizieren, die sich auf die Entscheidungsfindung auswirken. Sondern es ist auch unabdingbar, den zugrundeliegenden individuellen Entscheidungsprozess selbst intensiver in die Betrachtung einzubeziehen (Wee 2003). Bislang existieren hierfür vor allem allgemeine theoretische und konzeptionelle Ansätze (z.B. der „decision-making process“ von Rogers (2003) als bekanntester Vertreter in den Sozialwissenschaften oder Kollmann (2013) für das Online-Marketing). Empirische Untersuchungen in unterschiedlichen Kontexten einschließlich des Gesundheitssektors liegen bisher nur in begrenztem Umfang vor (z.B. Kyratis et al. 2012).

Fragestellung: Vor diesem Hintergrund soll die Frage beantwortet werden, wie der Entscheidungsprozess aus Sicht des individuellen Nutzers bzw. Patienten im Zusammenhang mit der Adoption von eHealth-Services abläuft.

Methode: Es wurden semi-strukturierte Leitfadeninterviews mit 81 Teilnehmern durchgeführt. Die Rekrutierung der Probanden erfolgte aus dem persönlichen Umfeld sowie in Kooperation mit einer Arztpraxis. Voraussetzung für die Teilnahme war die mindestens einmalige Nutzung eines eHealth-Services. Die Probanden bezogen sich auf die folgenden eHealth-Services: Internet-Gesundheitsportale: n= 46, Kommunikationsinstrumente: n=14, Versandapotheken: n=11, krankheitsbedingte Kontrollsysteme: n=5, Gesundheits-Applikationen: n=4 sowie Smart Fitness Tool: n=1. Die transkribierten Interviews wurden in einem ersten Schritt softwaregestützt (MAXQDA) inhaltsanalytisch ausgewertet. Mittels Strukturierung in Anlehnung an Mayring konnten alle Aspekte identifiziert werden, die einen Einfluss auf den Entscheidungsprozess hatten bzw. diesen charakterisierten (z.B. Prozessauslöser, Adoptionsdeterminanten, Informationsverhalten oder Dauer). In einem zweiten Schritt wurde der jeweilige Entscheidungsprozess mittels eines Prozesscharts visualisiert, bei dem auf der x-Achse die Zeit und auf der y-Achse die Adoptionswahrscheinlichkeit zu relevanten Zeitpunkten innerhalb der Entscheidungsfindung abgetragen wurden.

Ergebnisse: Im Ergebnis lässt sich ein typischer Entscheidungsprozess ableiten, der aus den folgenden sechs Prozessphasen besteht: (1) Latenzphase, (2) Initiativphase, (3) Informationsphase, (4) Entscheidungsphase, (5) Erprobungsphase und (6) Bestätigungsphase. Zusätzlich wurden für unterschiedliche eHealth-Services weitere Prozessspezifika identifiziert. So tritt z.B. nach der Nutzung von Gesundheitsportalen häufig Unzufriedenheit und somit keine Wiedernutzung ein. Des Weiteren werden logistische Angebote, wie z.B. die von Versandapotheken, bei weit verbreiteten medizinischen Problemen genutzt, wobei häufig eine preissensitive Nutzungsentscheidung zu finden ist.

Diskussion: Diese Befragung strukturiert als eine der ersten den gesamten Entscheidungsprozess zur Nutzung von eHealth-Services aus individueller Nutzersicht nach adoptionsrelevanten Phasen. Dadurch wird eine umfassende Analyse der Bedürfnisse potenzieller Nutzer zugänglich. In nachfolgenden Untersuchungen sollten weitere eHealth-Services empirisch nach dem vorgeschlagenen Vorgehen charakterisiert werden.

Implikationen: Die über einen strukturierten Entscheidungsprozess gewonnenen Erkenntnisse liefern detailliertere Informationen als die isolierte Untersuchung einzelner Einflussfaktoren. Hierdurch findet auch die zeitliche Abfolge als erfolgsrelevante Größe Berücksichtigung. Vor dem Hintergrund einer notwendigen Verbreitung von eHealth-Services müssen diese Zusammenhänge intensiver untersucht und Erkenntnisse entsprechend genutzt werden.