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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Erwerbsminderungsrenten wegen psychischer Erkrankungen und demographische Entwicklung

Meeting Abstract

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  • Manfred Zielke - Baltic Bay Clinical Consulting BBCC, Mönkeberg, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocFV05

doi: 10.3205/15dkvf136, urn:nbn:de:0183-15dkvf1365

Published: September 22, 2015

© 2015 Zielke.
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Hintergrund: Seit mehreren Jahren ist eine Zunahme von Erwerbsminderungsrenten (EM-R) infolge von psychischen Erkrankungen zu beobachten. Dies gilt sowohl hinsichtlich der absoluten Fälle als auch bei den relativen Anteilen im gesamten Frühberentungsgeschehen.

Als Ursachen für diese Entwicklung werden ein Diagnose-Shifting im Begutachtungsverfahren und/oder eine fortschreitende Verminderung des Leistungsvermögens und der korrespondierenden Erwerbsfähigkeit infolge von zunehmenden Belastungen der Arbeitswelt angenommen. Die diesbezüglichen Bewertungen einer solchen Entwicklung variieren je nach Interessenlage der „Stakeholder“ in der Gesundheitsversorgung und können allenfalls als Gedankenspiele verstanden werden.

Methodik: Auf der Basis der Rentenstatistik der gesetzlichen Rentenversicherung wird eine Häufigkeitsanalyse der EM-R wegen einer Depression (ICD-10:F3), wegen psychischer Erkrankungen insgesamt (ICD-10:F), wegen orthopädischer Erkrankungen (ICD-10:M), wegen Herz-Kreislauferkrankungen (ICD-10:I) sowie wegen Neubildungen (ICD-10: C-D) in den für Frühberentungen kritischen Altersjahrgängen durchgeführt und in Relation gesetzt zu den demographischen Entwicklungen bei den Erwerbstätigen (50-54 Jahre) in den korrespondierenden Altersjahrgängen.

Zielsetzung: Es wird überprüft, ob die beobachteten Zunahmen bei den Erwerbsminderungsrenten infolge psychischer Erkrankungen mit der demographischen Entwicklung der erwerbstätigen Risikojahrgänge einhergehen oder ob es als qualitative Zunahme zu bewerten ist. Diese Zusammenhänge werden kontrastiert mit Erwerbsminderungsberentungen bei somatischen Erkrankungen.

Ergebnisse: Das mittlere Zugangsalter von EM-R wegen einer Depression beträgt bei langjährigen Verlaufsbetrachtungen ([1], S 179 ff.) und ebenfalls im aktuellen Beobachtungszeitraum etwa 50 Jahre. Der Zuwachs an EM-R wegen einer F3-Erkrankung ist hinsichtlich der Fallzahlen (17.306 Fälle in 2005 auf 31.775 Fälle in 2012) und der relativen Anteile im Frühberentungsgeschehen (von 10,6% in 2005 auf 17,9% in 2012) deutlich nachweisbar.

Die demographische Entwicklung der Geburten im Zeitraum von 1955 bis 1969 zeigt geburtenstarke Jahrgänge (Baby-Boomer-Jahrgänge), die nunmehr zwischen 2005 und 2012 in die erwerbsminderungskritischen Zeitfenster gelangen. Die Anzahl der RV-Versicherten in der Altersspanne von 50 bis 54 Jahren nimmt im Beobachtungszeitraum von 2005 (N=3.915.824) bis 2012 (N=4.739.334) kontinuierlich zu. Der Zuwachs an EM-R wegen Depressionen verläuft nahezu deckungsgleich zu dem Anwachsen der Anzahl der nunmehr 50- bis 54-jährigen Erwerbstätigen. Die entsprechende Korrelation beträgt R²=0,968. Dies gilt ebenso für psychische Erkrankungen insgesamt (R²=0,850). Bei Herz-Kreislauferkrankungen verlaufen die Zeitreihen der Erwerbsminderungsrenten und der aktiv Versicherten im Risikoalter völlig unabhängig voneinander (R²=0,005). Bei Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates und bei Krebserkrankungen zeigen sich sogar inverse Zusammenhänge: Trotz einer Zunahme von aktiv Erwerbstätigen im Risikoalter nimmt die Zahl der Erwerbsminderungsrenten ab.

Diskussion: Erwerbsminderungsrenten infolge von Depressionen als häufigste psychische Erkrankung und wegen psychischer Erkrankungen insgesamt nehmen im Beobachtungszeitraum tatsächlich und deutlich zu. Allerdings zeichnet sich darin nahezu ausschließlich ein demographischer Faktor ab, da die aktiv Erwerbstätigen im Risikoalter ebenfalls gleichgerichtet mehr werden. Die bisher auf der Ebene vager Vermutungen vertretenen Gründe hierfür spielen allenfalls eine marginale Rolle. Bei den Erwerbsminderungsrenten infolge somatischer Krankheitsbilder ergeben sich sogar teilweise inverse Zusammenhänge.

Praktische Implikationen: Da die geburtenstarken Jahrgänge nunmehr in Risikofenster für Erwerbsminderungsrenten infolge psychischer Erkrankungen gelangen, ist dieser Zuwachs nahezu ausschließlich der demographischen Entwicklung geschuldet. Diese Entwicklung wird sich noch weiter forcieren, weil z.B. der geburtenstärkste Jahrgang von 1964 (1.357.304 Geburten) 2014 in das Risikofenster gelangen wird.

Literatur

[1] Statistik des Rentenzugangs 2000 bis 2012. http://www.gbe-bund.de

[2] Zielke M. Wirksamkeit stationärer Verhaltenstherapie. Weinheim: Psychologie Verlags Union; 1993.

[3] Zielke M. Erwerbsminderungsrenten wegen psychischer Erkrankungen und demographische Entwicklung. In: DRV Bund, Hrsg. 22. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium vom 4. bis 6. März 2013 in Mainz. DRV-Schriften; Bd. 101. 2013. S. 327-328.

[4] Statistisches Bundesamt. 2012. http://www.destatis.de/DE/Zahlen/Fakten


Literatur

1.
Zielke M. Wirksamkeit stationärer Verhaltenstherapie. Weinheim: Psychologie Verlags Union; 1993.
2.
Statistik des Rentenzugangs 2000 bis 2012. http://www.gbe-bund.de External link
3.
Zielke M. Erwerbsminderungsrenten wegen psychischer Erkrankungen und demographische Entwicklung. In: DRV Bund, Hrsg. 22. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium vom 4. bis 6. März 2013 in Mainz. DRV-Schriften; Bd. 101. 2013. S. 327-328.
4.
Statistisches Bundesamt. 2012. http://www.destatis.de/DE/Zahlen/Fakten External link