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Depressive Störung im Alter: Status quo und Perspektiven der Versorgung – Ergebnisse der AgeMooDe und AgeMooDe+Synergie Studie
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Published: | September 22, 2015 |
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Hintergrund: Hochaltrige sind das am schnellsten wachsende Bevölkerungssegment mit komplexen Versorgungsherausforderungen. Gleichwohl stehen hochaltrige Menschen selten im Mittelpunkt der Forschung und Versorgung. Über die Häufigkeit depressiver Störungen im höheren Alter, über die Behandlungspräferenzen der Senioren und über die aktuelle Versorgungspraxis und den möglichen Optimierungsspielräumen ist wenig bekannt.
Fragestellung: Deshalb soll im vorliegenden Vortrag folgenden Fragestellungen nachgegangen werden. Wie häufig sind depressive Störungen im hohen Lebensalter? Welche gesundheitsökonomische Relevanz haben depressive Störungen im Alter? Welche Behandlungspräferenzen geben depressive und nicht-depressive Senioren an? Welche ungedeckten Bedarfe geben depressive Allgemeinarztpatienten an? Wie schätzen Experten die aktuelle Versorgungssituation ein? Wo werden Entwicklungsspielräume gesehen?
Methode: Datengrundlage der vorgestellten epidemiologischen und gesundheitsökonomischen Ergebnisse bilden große deutsche bevölkerungs- und allgemeinartzbasierte Alterskohorten wie die Leipziger Langzeitstudie in der Altenbevölkerung (LEILA 75+) und die multizentischen German Study on Ageing, Cognition and Dementia in Primary Care Patients (AgeCoDe) Studie. Weitere Resultate basieren auf der BMBF-geförderten multizentrischen allgemeinartbasieren AgeMooDe-Studie (Verbundprojekt Depression im Alter: Versorgungsbedarf, Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen und Kosten), einer großen versorgungsorientierten multizentrische Studie, bei der 1.200 Allgemeinarztpatienten 75+ untersucht unter anderem hinsichtlich ihrer Bedarfe mit dem Camberwell Assement of Needs in the Elderly (CANE) untersucht wurden. Im Rahmen der BMG-geförderten AgeMooDe+Synergie Studie wurden in einem Mixed-Method-Ansatzes Barrieren und Chancen für eine optimierte Behandlung ausgelotet. Dazu werden hier erste Ergebnisse aus den qualitativen Experten-Interviews vorgestellt, die inhaltsanalytisch computerunterstützt mit MAXQDA ausgewertet wurden.
Ergebnisse: 17% aller Senioren über 75 leiden an einer depressiven Symptomatik, 7% an einer depressiven Störung, ein substantieller Teil verläuft chronisch. Depressive Senioren sind Vielnutzer des Gesundheitssystems. Die Kosten depressiver Allgemeinarztpatienten 75 im Alter liegen um ca. ein Drittel höher als die von nicht-depressiven Senioren. Diese Kostenerhöhung ist nicht auf depressionsspezifische Interventionen zurückzuführen. Erst Ergebnisse zu den Behandlungspräferenzen zeigen, dass ähnlich wie in wenigen internationalen Studien auch von deutschen Senioren neben medikamentösen Interventionen zunehmend auch psychotherapeutische Interventionen favorisiert werden. Hochaltrige Allgemeinarztpatienten mit depressiver Symptomatik berichten signifikant mehr ungedeckte Bedarfe als nicht-depressive Senioren, allen voran in der körperlichen Gesundheit gefolgt vom Bereich der Mobilität. Experten schätzen im Rahmen von qualitativen Interviews die Versorgungsqualität depressiver alter Menschen in Deutschland als unterdurchschnittlich ein. Barrieren lassen sich dabei verschiedenen Bereichen zuordnen (Patienten, Angehörige, Behandler, Versorgungssituation, Rahmenbedingungen, Gesellschaft). Dabei wird auch der Mangel an kooperativen Strukturen benannt.
Diskussion: Depressionen im Alter sind häufig und folgenschwer und stellen ein bevölkerungsmedizinisch unterschätztes Problem dar. Obgleich depressive alte Menschen Vielnutzer des Gesundheitssystems sind, ist von einer Unterversorgung depressiver Störungen im Alter auszugehen. Evidenzbasierte wirksame Behandlungsmöglichkeiten liegen vor. Optimierungsstrategien sind dringend geboten. Die Schnittstelle zum Hausarzt ist wichtig. Neue Wege in der Versorgung erscheinen notwendig. Kollaborative und gestufte Behandlungsprogramme haben sich international als wirksam und kosteneffektiv erwiesen. Die Versorgung depressiver alter Menschen wird ein zentrales Forschungsfeld für die Versorgungsforschung in langlebigen Gesellschaften.