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Gesundheit am Telefon fördern?! Multiperspektivische Evaluation von telefonischem Gesundheitscoaching für chronisch Erkrankte
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Published: | September 22, 2015 |
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Hintergrund: Das telefonische Gesundheitscoaching einer Krankenkasse begleitet ausgewählte Versicherte mit chronischen Erkrankungen (Herz-Kreislauf-, psychische Erkrankungen, einzeln & in Kombination bei Komorbidität) über ein Jahr. Ziel ist es, das Versorgungsmanagement sowie die individuellen Gesundheitskompetenzen zu verbessern. Die zugrundeliegende These ist, dass informierte Versicherte zu einem effizienteren Einsatz der Ressourcen im Gesundheitswesen beitragen können.
Fragestellung: Die multiperspektivische Evaluation geht der Frage nach, ob Teilnehmende des telefonischen Gesundheitscoachings im Vergleich zu Nicht-Teilnehmenden eine bessere subjektive Gesundheit wahrnehmen und ihre Ressourcennutzung verändert ist. Zudem wird untersucht, welchen subjektiven Nutzen die teilnehmenden Versicherten in Hinblick auf ihre Krankheitsbewältigung und Orientierung im Versorgungssystem wahrnehmen.
Methode: Die Intervention wird mittels Methodenmix evaluiert. Der Fokus der quantitativen Analysen liegt auf dem Nutzen der Intervention hinsichtlich gesundheitsbezogener Lebensqualität, Zufriedenheit und Ressourcennutzung. Dazu werden gesundheitliche und ökonomische Effekte zwischen Interventions- und Kontrollgruppe mittels multivariater Analysen verglichen (SF-36-Health Survey, Zufriedenheit, Routinedaten für n = 619). Die subjektive Nutzenwahrnehmung wird mittels qualitativen, leitfadengestützten Interviews (n = 8, nach Abschluss der Intervention) erhoben und mittels thematischen Kodierens und zusammenfassender, strukturierender Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet.
Ergebnisse: Die Interventionsgruppe bewertet ihre subjektive Gesundheit im Vergleich zum Vorjahr (Zeitraum vor der Intervention) signifikant besser als die Kontrollgruppe. Im Vergleich zur Kontrollgruppe bestehen keine Unterschiede in der aktuellen subjektiven Gesundheit oder sogar schlechtere Outcomes für emotional-psychische Aspekte. Die Mehrheit der Teilnehmenden (73,8%) ist mit der Intervention zufrieden und nimmt einen Interventionsnutzen (Summenskala) wahr. In den Routinedaten zu Kosten und Leistungsinanspruchnahme spiegeln sich keine einheitlichen Trends oder Effekte wider. Während der Intervention sind Kosten und Leistungsinanspruchnahme in der Interventionsgruppe gesunken, stiegen jedoch im Folgejahr wieder. Arzneimittelkosten und -verschreibungen stiegen während des Interventionszeitraums an – möglicherweise in Folge verbesserter Compliance. Das Niveau von Leistungsinanspruchnahme und deren Kosten liegt in der Interventionsgruppe deutlich höher als in der Kontrollgruppe. Aus subjektiver Sicht der teilnehmenden Versicherten hatte die Intervention folgenden Nutzen für Krankheitsbewältigung und Kenntnisse im Versorgungssystem:
- Unterstützende Begleitung, Information, Beratung und Bestärkung,
- Identifizieren und Erreichen gesundheitsbezogener Ziele,
- Stärkung der Eigenverantwortung und einer aktiven, partizipierenden Versichertenrolle,
- Kenntnisse zum und Orientierung im Gesundheitssystem durch Information zu und Wahl von Leistungen und Leistungserbringenden.
Dies entspricht weitgehend den geäußerten Bedürfnissen nach Unterstützung und Befähigung. Von einigen Befragten wird kein Nutzen des Programms wahrgenommen, dennoch bewerten es alle als wichtige Unterstützung. Ein Vorteil ist die individuelle Ausrichtung auf Gesundheitsprobleme und -bedürfnisse.
Diskussion: Der Nutzen des telefonischen Gesundheitscoachings liegt vor allem auf der subjektiven Ebene der Teilnehmenden: Sie nehmen trotz schlechterer subjektiver Gesundheit eine positive Gesundheitsentwicklung und einen hohen subjektiven Nutzen wahr und ihre Gesundheitskompetenzen werden gefördert. Hinsichtlich Kosten und Leistungsinanspruchnahme können keine Effekte des Coachings nachgewiesen werden. Grund kann der unzureichende Detaillierungsgrad der Routinedaten sein (keine diagnosespezifische Aufschlüsselung). Der Ausschluss von Confoundern ist aufgrund des Studiendesigns nicht möglich, daher können nur begrenzt Rückschlüsse auf Zusammenhänge zwischen Effekten und Intervention gezogen werden. Die qualitativen Daten geben Hinweise auf Merkmale der Teilnehmenden, die die Nutzenwahrnehmung und Effektivität der Intervention beeinflussen können. Hierzu sowie zur theoretischen Einordnung, Entwicklung (Skalierung, Spezifizierung) und Evaluation der Intervention besteht Forschungsbedarf.
Praktische Implikationen: Trotz Limitationen des Studiendesigns ist ein Vorteil gegenüber einer klinischen Studie, dass die Intervention in der Versorgungspraxis und damit unter Alltagsbedingungen entwickelt, erprobt und auch evaluiert wurde. Die Bedingungen entsprechen so der Realität von Versicherten und Krankenkasse. Für die Evaluation hat sich der multiperspektivische Ansatz mit Methodenmix bewährt, um ein umfassendes Bild zur Intervention zu erhalten.