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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Bedarf und Inanspruchnahme partizipationsorientierter Versorgungsaspekte nach Schlaganfall

Meeting Abstract

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  • Jana Alber - Sonder- und Rehabilitationspädagogik, Sonderpädagogik, Rehabilitation/Health Care, Oldenburg, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocFV25

doi: 10.3205/15dkvf114, urn:nbn:de:0183-15dkvf1147

Published: September 22, 2015

© 2015 Alber.
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Hintergrund: Der Schlaganfall stellt in Deutschland die dritthäufigste Todesursache und die häufigste Ursache für eine im Lebensverlauf erworbene Beeinträchtigung dar. Die direkten medizinischen Kosten der Schlaganfallversorgung für das Jahr 2004 lagen in Deutschland bei 7,1 Milliarden Euro. Trotz dieser hohen Aufwendungen wird die Gesundheitsversorgung der Behandlung dieser Personengruppe nicht umfassend gerecht. Die Problematik der Versorgungsstruktur liegt dabei weniger in einem Mangel denn in einer Fehlversorgung der Versorgungsleistungen begründet. Durch die Einführung der ICF und der Partizipation als zugrundeliegendes Ziel von Rehabilitationsprozessen, wird sich die Versorgungssituation nach einem Schlaganfall noch komplexer zeigen. Eine Partizipationsplanung ist nur durch den Einbezug der Rehabilitanden möglich, denen eine realistische Einschätzung hinsichtlich der Auswirkungen ihrer Funktionsbeeinträchtigungen auf Aktivitäts- und Partizipationsebene oftmals fehlt. Daher begründet sich die Frage welche Bedeutung die Zielgruppe an sich, Menschen mit Schlaganfall, in der Betrachtung von Bedarf und Inanspruchnahme partizipationsorientierter Versorgungsaspekte einnimmt.

Fragestellung: Wie lässt sich die bestehende Diskrepanz von Bedarf und Inanspruchnahme von Versorgungsaspekten für Rehabilitanden nach Schlaganfall erklären?

Methode: Im Rahmen einer Dissertation zum Thema „Partnerschaft und Schlaganfall – Untersuchung zu Förderfaktoren und Barrieren im Rehabilitationsprozess“ wurden leitfadengestützte, problemzentrierte Interviews geführt. Diese fanden acht Wochen nach der stationären Entlassung (t1) und sechs Monate nach dem ersten Interview (t2) statt. Die Rehabilitanden (Nt1=10) und ihre Partner (Nt1=9) wurden getrennt befragt. Der Leitfadenstruktur liegt die Person-Umfeld-Analyse (PUA) zugrunde, der zufolge die Wirkungsräume Person, Familie, Bekannte, Rehabilitation, Beruf und Alternativer Wirkungsraum (Hobby) untersucht werden. Die Befragung wurde durch eine Visualisierung der wahrgenommenen Förderfaktoren und Barrieren unter Hinzunahme einer Magnettafel sowie grünen und roten Magneten ergänzt. Die Interviews wurden transkribiert und mit der zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet.

Ergebnisse: Im Bereich der „Person“ zeigen sich u.a. Barrieren in Form von „Schwierigkeiten mit der Inanspruchnahme von Unterstützung“ und im „Verbergen des eigenen Befindens“. Die Befragten fühlen sich nicht ausreichend befähigt individuelle Versorgungsbedarfe zu erkennen und zu äußern. Im Wirkungsraum „Beruf“ zeigt sich, dass Umweltfaktoren (wie die durch den Arbeitgeber gebotene „Dringlichkeit eines schnellen Wiedereinstiegs“) zu einer Barriere in diesem Partizipationsbereich führen („vorzeitiger Ruhestand“). Weiterhin verdeutlichen die Ergebnisse, dass sich nahezu alle Befragten von dem „typischen“ Schlaganfallpatienten distanzieren. Sie beschreiben eine Personengruppe mit sichtbaren Beeinträchtigungen, während eigene wahrgenommene Symptome als „unsichtbar“ (z.B. in Form einer eingeschränkten Belastbarkeit) beschrieben werden.

Diskussionen: Durch die PUA-orientierte Befragung und die Möglichkeit eigene Befragungsschwerpunkte festzulegen, wurde eine Reflexion der als „typisch“ erachteten Personen nach einem Schlaganfall möglich. In verschiedenen Studien (PaReSiS; Shared decision making) wird angenommen, dass sich individuelle Kompetenzen der Rehabilitanden positiv auf die Bewilligung von Therapien auswirken, die Patienten für ihre Rolle als gleichberechtigte Gesprächspartner jedoch weiterer Förderung bedürfen. Die hier vorliegenden Ergebnisse stützen die Annahme, dass Rehabilitanden mehr Beratungsleistungen zur verbesserten Wahrnehmung und Stärkung ihrer Rolle im Rehabilitationsprozess benötigen. Durch das methodische Vorgehen, insbesondere durch die Visualisierung der Förderfaktoren und Barrieren im Rehabilitationsprozess, wurden die Daten für die Befragten handhabbar, erklärbar und sinnhaft (Kohärenzgefühl nach Antonovsky) und ermöglichen eine Überprüfung, ob die bisherigen therapeutischen Maßnahmen der eigenen Zielverfolgung dienen. Dadurch lassen sich der tatsächliche individuelle Bedarf und die Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen abbilden.

Praktische Implikationen: Die Ergebnisse zeigen, dass persönliche Kompetenzen für die Teilhabeplanung Berücksichtigung finden müssen. Die Rehabilitanden müssen sich darüber hinaus als zu der Patientengruppe zugehörig erkennen. Um ihre Rolle des Experten in eigener Sache annehmen zu können, müssen sie Informationen in Bezug auf ihre veränderte Lebenssituation und mögliche Symptomerscheinungen bekommen (Health Literacy). Diese (neurokompetenten) Beratungsleistungen müssen ambulant fortgeführt werden, da sich partizipative Auswirkungen des Schlaganfalls auf die familiale, häusliche und berufliche Situation erst nach der stationären Rehabilitation zeigen.