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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Die Wirksamkeit einer Intervention zur Förderung der Gesundheitskompetenz bei Patienten mit chronischen muskuloskelettalen Erkrankungen

Meeting Abstract

  • Erik Farin-Glattacker - Universitätsklinikum Freiburg, Institut für Qualitätsmanagement und Sozialmedizin, Freiburg, Deutschland
  • Andrea Schöpf - Universitätsklinikum Freiburg, Institut Qualitätsmanagement und Sozialmedizin, Freiburg, Deutschland
  • Antje Ullrich - Universitätsklinikum Freiburg, Institut für Qualitätsmanagement und Sozialmedizin, Freiburg, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocV92

doi: 10.3205/15dkvf098, urn:nbn:de:0183-15dkvf0989

Published: September 22, 2015

© 2015 Farin-Glattacker et al.
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Text

Hintergrund: Gesundheitskompetenz (engl. health literacy) kann verstanden werden als kognitive und kommunikative Fähigkeiten und Fertigkeiten, über die eine Person verfügen muss, um Informationen aufzunehmen, Fertigkeiten zum Gesundheitsverhalten zu erlernen und selbstverantwortlich anzuwenden. Eine geringe Gesundheitskompetenz kann einen Risikofaktor darstellen, der sich negativ auf die Adhärenz und das Behandlungsergebnis auswirkt. Im Rahmen des Projekts „Entwicklung und Evaluation einer Patientenschulung zur Förderung der Gesundheitskompetenz von chronisch Kranken“ wurde eine auf die besonderen Bedürfnisse von Rehabilitanden mit geringer Gesundheitskompetenz abgestimmte Basisschulung entwickelt. Die manualisierte Patientenschulung „Aktiv in der Reha“ besteht aus vier Modulen (jeweils 60 Minuten) und beinhaltet zentrale Themen aus dem rehabilitationsbezogenen Kontext: „Bio-psycho-soziales Krankheitsmodell“, „Eigene Reha-Ziele entwickeln“ und „Kommunikation mit Behandlern“.

Fragestellung: Der Beitrag stellt die Inhalte sowie die Ergebnisse der fornmativen und summativen Evaluation von „Aktiv in der Reha“ dar.

Methode: Die Implementierung der Patientenschulung fand im Zeitraum von Januar bis September 2013 in sechs Rehabilitationseinrichtungen statt. Die Einrichtungen führten fünf bis acht Durchgänge der Schulung durch, die möglichst in den ersten 14 Tagen nach Reha-Beginn stattfinden sollte. Einbezogen wurden Patienten mit chronischen Rückenschmerzen und/oder Arthrose. Zur formativen Evaluation wurde die Akzeptanz der einzelnen Module der Schulung mit Hilfe eines Evaluationsbogens (Patienten und Dozenten) erfasst. Die Beurteilung der Schulung erfolgte auf einer sechsstufigen Skala (Schulnotensystem: 1–6). Die Dozenten wurden zudem um eine Einschätzung der Umsetzung der einzelnen Lernziele (dreistufige Skala: „ja“, „teilweise“, „nein“) gebeten. Für die summative Evaluation wurde ein sequentielles Kontrollgruppendesign umgesetzt. Die Auswertung erfolgte mit einer Propensity Score Matching Methode.

Ergebnisse: Zur Bewertung der Patientenschulung liegen 274 Evaluationsbögen von Patienten und 34 von Dozenten vor. Die Ergebnisse der formativen Evaluation zeigen, dass die Schulung insgesamt als gut bewertet wurde (Patienten: M=2,03, SD=0,98; Dozenten: M=2,44, SD=0,80). Nach Angaben der Dozenten lag der Erfüllungsgrad der insgesamt 17 Lernziele zwischen 53,10% und 94,10%. Das Kommunikationsmodul wurde sowohl von Patienten als auch von Dozenten am positivsten bewertet.

Für die summative Evaluation lagen Daten vor für N=565 Personen aus der Baseline-Phase und für N=199 Patienten aus der Interventionsphase. Für N=167 Personen aus der Interventionsphase konnte ein Fall mit entsprechendem Propensity Score aus der Kontrollgruppe gefunden werden.

Kurzfristig (am Ende der Rehabilitation) schneidet die Interventionsgruppe bei 16 von 21 Outcome-Variablen besser ab; davon bei vier Variablen Fällen statistisch signifikant besser:

  • Verhaltensintention bezüglich kommunikativ kompetentem Verhalten gegenüber Behandlern
  • Zufriedenheit mit Information zur Rehabilitation
  • Schmerzintensität
  • Arthrose-Patienten: Funktionseinschränkungen

Mittelfristig (nach 3 Monaten) sind bei 19 von 21 Outcome-Variablen Vorteile der interventionsgruppe feststellbar; bei drei Variablen gab es statistisch signifikante Vorteile:

  • Verhaltensintention bezüglich kommunikativ kompetentem Verhalten gegenüber Behandlern
  • Wahrgenommene Reha-Gesundheitskompetenz
  • Aktive Patientenbeteiligung

Diskussion: Es zeigte sich eine insgesamt positive Bewertung der Schulung hinsichtlich Verständlichkeit und Akzeptanz. Kritik gab es an der Menge der Informationen in Relation zur Zeit. Die Effekte nach der Reha sind in der Interventionsgruppe bei einigen (proximalen) Outcomes, die für die Patientenbeteiligung zentral sind, besser, so dass sich erste Belege für die Wirksamkeit der Schulung ergaben. Die Tatsache, dass mittelfristig genau in den Bereichen signifikante Verbesserungen feststellbar waren, die Zielbereiche der Schulung darstellten, stützt die Annahme der Wirksamkeit der Schulung.

Praktische Implikationen: Aufgrund der insgesamt positiven Ergebnisse scheint eine Anwendung der Schulung im Versorgungsalltag von Rehabilitationseinrichtungen sinnvoll. Insbesondere das Kommunikationsmodul scheint auf Bedarf zu treffen, da das Thema bisher kaum in bestehenden Patientenschulungen abgedeckt ist. Basierend auf dem hier beschriebenen Projekt wird zur Zeit ein Folgeprojekt umgesetzt, dass sich mit der Entwicklung und Evaluation einer Schulung für rheumakranke Menschen zur Vermittlung kommunikativer Kompetenzen in teilhaberelevanten Situationen beschäftigt (gefördert von Deutscher Rheumaliga).

Danksagung: Die Autoren danken dem Projektförderer BMBF, den an der Datenerhebung beteiligten Rehabilitations-einrichtungen und allen Patientinnen und Patienten, die sich an unserer Studie beteiligt haben.