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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Die Behandlung fehlender Werte in Studien der Versorgungsforschung

Meeting Abstract

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  • Benjamin Mayer - Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie, Universität Ulm, Ulm, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocFV31

doi: 10.3205/15dkvf045, urn:nbn:de:0183-15dkvf0451

Published: September 22, 2015

© 2015 Mayer.
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Hintergrund: Eine grundlegende methodische Herausforderung in allen Bereichen der empirischen Forschung ist der angemessene Umgang mit fehlenden Daten. Aus statistischer Sicht können durch das Vorhandensein fehlender Informationen im Analysedatensatz zahlreiche Probleme entstehen, wie beispielsweise ein Verlust an statistischer Power, eine reduzierte Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse, sowie eine Verzerrung der interessierenden Schätzer. Während diese Entwicklung vor allem in der klinischen Forschung dazu geführt hat, dass die mittlerweile verfügbaren Erkenntnisse zum Umgang mit fehlenden Daten auch in entsprechenden Leitlinien zusammengefasst wurden, gab es in der Versorgungsforschung bislang nur wenige Bestrebungen, sich mit dem Thema eingehender zu befassen - trotz der Tatsache, dass verschiedene Aspekte in Versorgungsforschungsstudien als Problemverstärker fungieren können.

Fragegestellung: Der vorliegende Beitrag widmet sich einer Analyse des aktuellen Stands, der besonderen Probleme und der notwendigen Entwicklungsschritte im Bereich der Versorgungsforschung hinsichtlich dem Umgang mit fehlenden Werten.

Methode: Es erfolgte eine umfangreiche Sichtung relevanter Guidelines im deutsch- und englischsprachigen Raum und eine explizite Recherche in publizierten Artikeln der Versorgungsforschung hinsichtlich des Umgangs mit fehlenden Werten. Des Weiteren wurden die spezifischen Probleme und Implikationen fehlender Daten speziell im Bereich Versorgungsforschung eruiert. Schließlich erfolgte auf Basis einer Simulationsstudie, deren Grundlage ein in der Versorgungsforschung häufig eingesetztes Propensity Score-Auswertungsmodell ist, eine Evaluierung verschiedener Standardmethoden zum Umgang mit fehlenden Daten.

Ergebnisse: Eine umfassende Sichtung der für die Versorgungsforschung relevanten Leitlinien auf nationaler und internationaler Ebene zeigte, dass aus methodischer Sicht dem Thema bislang wenig spezifische Beachtung entgegengebracht wurde und lediglich am Rande Erwähnung findet. Unterstützt wurde die These einer geringen Präsenz der Missing Value Thematik durch die durchgeführte Recherche hinsichtlich dem Umgang mit Fehlwerten in publizierten Studien der Versorgungsforschung. In mehr als der Hälfte aller 230 publizierten Studien fand sich kein Hinweis auf Datenvollständigkeit, so dass letztlich unklar war, ob sich die berichteten Ergebnisse tatsächlich auf die im Abstract und Methodenteil angegebene Gesamtfallzahl beziehen. Gleichzeitig war in fast 60% der Fälle, in denen ein Hinweis auf Daten(un)vollständigkeit zu finden war, kein Hinweis auf die verwendete Methodik zum Umgang mit fehlenden Daten zu finden. In über zwei Drittel der Studien mit expliziter Angabe einer Ersetzungsmethode wurde -trotz deren bekannter Probleme- eine Complete Case Analyse durchgeführt, keine Studie verwendete die als Goldstandard angesehene Multiple Imputation (MI). Die Simulationsergebnisse bestätigten die Erkenntnisse vergleichbarer Untersuchungen auf Basis anderer Modellvoraussetzungen. Insbesondere wurden erneut die schlechten Eigenschaften der Complete Case Analyse und der Fehlwertersetzung durch den Mittelwert der beobachteten Werte aufgezeigt. Grundsätzlich ermöglichte die MI auch in einem kombinierten Modellrahmen -bestehend aus einem Prognosemodell zur Schätzung der Propensity Scores und einem multiplen Regressionsmodell zur Schätzung des Behandlungseffektes- eine im Vergleich zu den anderen Methoden geringe Abweichung, sowohl der interessierenden Punktschätzer, als auch insbesondere der zugehörigen Konfidenzintervalle.

Diskussion: Insgesamt weisen die durchgeführten Recherchen darauf hin, dass die Versorgungsforschung durchaus von einer Förderung des Bewusstseins um die Problematik fehlender Werte profitieren könnte. Da die Versorgungsforschung ein multidisziplinärer Forschungszweig ist und daher über keinen spezifischen Methodenansatz verfügt bzw. verfügen muss, sollten die für die angemessene Behandlung fehlender Daten verfügbaren Erkenntnisse aus den Bereichen klinische Forschung und Beobachtungsstudien genutzt und in das Setting von Versorgungsforschungsstudien übertragen werden. Ein schlüssiges und ganzheitliches Missing Value-Konzept, das alle versorgungsrelevanten Aspekte umfasst, ist Grundvoraussetzung dafür, dass die Versorgungsforschung ihrem Anspruch einer alltagsnahen Beschreibung der Gesundheitsversorgung mit qualitativ hochwertigen Ergebnissen gerecht werden kann.

Praktische Implikationen: In der Versorgungsforschung sollten zukünftig entsprechende Anstrengungen unternommen werden, die zu einer Sensibilisierung gegenüber dem Problem fehlender Daten in Studien der Versorgungsforschung und deren Interpretation führen. Hierfür sollte insbesondere die Entwicklung einer methodisch orientierten Leitlinie fokussiert werden.