gms | German Medical Science

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

So selten und doch so zahlreich – Ärztliche Informationsbedarfe bei der Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen

Meeting Abstract

  • Verena Lührs - Ärztekammer Niedersachsen, Zentrum für Qualität und Management im Gesundheitswesen (ZQ), Hannover, Deutschland
  • Tjark Neugebauer - Ärztekammer Niedersachsen, Zentrum für Qualität und Management im Gesundheitswesen (ZQ), Hannover, Deutschland
  • Svenja Schürrer - Institut für Versicherungsbetriebslehre, Leibniz Universität Hannover, Center for Health Economics Research Hannover (CHERH), Hannover, Deutschland
  • Tobias Hartz - Universitätsmedizin Mainz, Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie, Mainz, Deutschland
  • Martin Frank - Institut für Versicherungsbetriebslehre, Leibniz Universität Hannover, Center for Health Economics Research Hannover (CHERH), Hannover, Deutschland
  • Brigitte Sens - Ärztekammer Niedersachsen, Zentrum für Qualität und Management im Gesundheitswesen (ZQ), Hannover, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocFV47

doi: 10.3205/15dkvf044, urn:nbn:de:0183-15dkvf0443

Published: September 22, 2015

© 2015 Lührs et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Outline

Text

Hintergrund: Seltene Erkrankungen sind selten, aber in ihrer Gesamtheit so zahlreich, dass sie ein Viertel der weltweit vorkommenden Erkrankungen ausmachen. In Europa gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen davon betroffen sind. In Deutschland leiden etwa vier Millionen Menschen an einer der 8.000 verschiedenen seltenen Erkrankungen. Vor diesem Hintergrund muss die Bedeutung der Versorgung seltener Erkrankungen, die für Ärzte eine besondere Herausforderung darstellt, stärker thematisiert werden. Informationsangebote dazu sind zwar umfangreich im Internet vorhanden, jedoch werden diese nur unzureichend genutzt. Der besondere Informationsbedarf von Ärzten muss erfasst werden, um entsprechende Maßnahmen für Informationsangebote ableiten zu können. Deshalb wurden im Rahmen des Projektes „Konzeptualisierung und modellhafte Implementierung eines zentralen Informationsportals über seltene Erkrankungen (ZIPSE)"qualitative Interviews geführt und Konsequenzen für die Umsetzung eines Internetportals abgeleitet.

Fragestellung: Auf welche Art wollen Ärzte welche Informationen zu seltenen Erkrankungen erhalten und wie kann man diese adäquat auf einem Internetportal zur Verfügung stellen?

Methode: Im Rahmen des Projekts ZIPSE wurden 27 leitfadengestützte Experteninterviews mit Ärzten geführt. Um die Bandbreite der Informationsbedarfe erfassen zu können, wurden bei der Auswahl der Interviewpartner neben demografischen Parametern auch die Versorgungsstruktur (ambulant und stationär), die regionale Verteilung sowie die Rollen in der Versorgung berücksichtigt. Die Experteninterviews wurden inhaltsanalytisch nach Mayring mit Hilfe von MaxQDA (Software zur computergestützten qualitativen Datenanalyse) ausgewertet. Der Fokus der Auswertung lag auf dem speziellen Informationsbedarf, den Ärzte bei der Versorgung von Patienten mit seltenen Erkrankungen haben.

Ergebnisse: Ein wesentliches Ergebnis liegt darin, dass die Schwerpunkte bei den Informationsbedarfen sich je nach dem Zeitpunkt des Patientenkontaktes im Behandlungsprozess richten. Bevor eine Diagnose feststeht, spielen Hilfestellungen zur Diagnosefindung eine Rolle. Bedarfe wie Suchdatenbanken, Übertragbarkeit der Anamnese und Zweitmeinungen werden seitens der Ärzte geäußert. Auch Anlaufstellen wie Speziallabore und Experten für eine Weiterbetreuung von Patienten mit seltenen Erkrankungen werden als essentiell für eine gute Behandlung betrachtet. Ebenso liegt ein Schwerpunkt im Bereich von Studien zum Krankheitsverlauf. Wenn eine Diagnose gestellt werden konnte, verlagern sich die Schwerpunkte bei den Informationsbedarfen in die Bereiche Erfahrungsaustausch, Empfehlungen zur Beratung und Betreuung, Anlaufstellen für die Weiterbetreuung und bestmögliche Therapie. Darüber hinaus werden Informationen zur Weiterbildung als notwendig erachtet. Wünschenswert seitens der Ärzteschaft ist eine Plattform, die die Themenschwerpunkte übersichtlich darstellt und eine schnelle und unkomplizierte Suchfunktion beinhaltet. Die Darstellung sollte zweckmäßig sein, damit die Informationsbeschaffung für Ärzte im beruflichen Alltag möglich ist. Es muss deutlich werden, dass Informationen valide sind. Das Internetportal befindet sich derzeit in der Entwicklung und wird im Juli 2015 unter http://www.portal-se.de/ öffentlich verfügbar sein.

Diskussion: Dem Problem der schwer auffindbaren und nur unzureichend qualitätsgesicherten Informationen zu seltenen Erkrankungen im Internet kann mit der Schaffung eines zentralen Informationsportals begegnet werden. Das wesentliche Ergebnis aus den Ärzteinterviews ist, dass der Bedarf an Informationen vor und nach Diagnosestellung unterschiedlich ist. Dies könnte durch die Gestaltung der Startseite mit einer Einstiegsfrage oder durch Kategorisierung der Themen gelöst werden. Die in den Interviews identifizierten Bedarfe finden sich in den auf der ZIPSE-Startseite dargestellten Kategorien wieder. Diese gliedern sich in die Bereiche Krankheitsbild, Therapie, Forschung, Beratung, Erfahrungsaustausch und Weiterbildung. Unter den definierten Kategorien werden in ZIPSE Webseiten zu seltenen Erkrankungen dynamisch qualitätsgesichert eingruppiert und verlinkt. ZIPSE bietet selbst keine Primärinformationen, sondern verweist auf bereits im Internet vorhandene Informationsquellen. Dabei können nicht alle in den Interviews identifizierten Informationsbedarfe berücksichtigt werden, da z.B. ein Austausch zwischen Ärzten einen geschützten Bereich und eine umfassende redaktionelle Betreuung erfordern würde.

Praktische Implikationen: Aus den Ergebnissen lassen sich Implikationen für das Internetportal ableiten. Ein zentraler Einstieg und die Bündelung der heterogen verfügbaren Informationen durch die ZIPSE kann zu einer Verbesserung des Informationsangebotes im Bereich der seltenen Erkrankungen führen. Durch diese zentrale Anlaufstelle für Ärzte und Patienten kann in Zukunft die Versorgungssituation verbessert werden.