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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

TAVI in der klinischen Versorgung – Marktentwicklung einer medizinischen Innovation

Meeting Abstract

  • Udo Schneider - WINEG - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen, Hamburg, Deutschland
  • Roland Linder - WINEG - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen, Hamburg, Deutschland
  • Dirk Horenkamp-Sonntag - WINEG - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen, Hamburg, Deutschland
  • Andreas Schmid - Juniorprofessur für Gesundheitsmanagement, Universität Bayreuth, Bayreuth, Deutschland
  • Frank Verheyen - WINEG - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen, Hamburg, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocV19

doi: 10.3205/15dkvf011, urn:nbn:de:0183-15dkvf0112

Published: September 22, 2015

© 2015 Schneider et al.
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Text

Hintergrund: Interventionen mit kathetergestütztem Aortenklappenersatz (TAVI: Trans-catheter aortic valve implantation) nehmen in Deutschland kontinuierlich zu. Im Jahr 2013 lag die Zahl erstmals über jener für konventionelle Eingriffe (Aortenklappenersatz, AKE). Während im Jahr 2008 nur 637 TAVI-Eingriffe durchgeführt wurden, waren es im Jahr 2013 bereits knapp 10.500. Im gleichen Zeitraum stiegen die Gesamtfallzahlen für Aortenklappen-Eingriffe von über 11.000 im Jahr 2008 auf über 20.000 im Jahr 2013. Für Patienten mit Aortenklappenstenose, insbesondere inoperable ältere und Hochrisikopatienten, stellt TAVI eine mit geringeren Belastungen einhergehende – wenn auch teurere – Alternative zum AKE dar.

Fragestellung: Vor diesem Hintergrund wird erstens die Verbreitung der TAVI im Zeitablauf in Deutschland analysiert. Hierzu wird der Anteil der TAVI an allen Eingriffen auf Kreisebene untersucht, um ein Bild der Marktentwicklung zu erhalten. Zweitens wird untersucht, ob Empfehlungen hinsichtlich einer institutionalisierten herzchirurgischen Fachabteilung befolgt werden, wie sie auch durch den G-BA beschlossen wurden. Drittens stellt sich die Frage, ob sich aus GKV-Routinedaten ein Index zur Beurteilung der Notwendigkeit eines TAVI-Eingriffs ableiten lässt.

Methodik: Der Analyse liegen Routinedaten der Techniker Krankenkasse (TK) für die Jahre 2009–2014 zugrunde. Als Aufgreifkriterium wurden folgende OPS-Codes verwendet: TAVI 5-35a.00-5-35a.02, AKE 5-351.01-5-351.0x. Zur Darstellung der räumlichen Verbreitung wurden sämtliche Eingriffe auf Kreisebene aggregiert und der Anteil von TAVI an allen Eingriffen berechnet. Herzchirurgische Fachabteilungen wurden durch DRG-Abrechnungspositionen ermittelt. In Ermangelung von Angaben zu EuroSCORE oder STS-Score wurde ein Komorbiditätsindex für die geschätzte Sterbewahrscheinlichkeit (logistische Regression) in Anlehnung an Abbildstrøm et al. (Eur J Cardiothorac Surg 2010) berechnet.

Ergebnisse: Eingeschlossen wurden Personen mit durchgehender Versicherung vier Quartale vor dem Eingriff bis 30 Tage danach (Überleben bzw. Tod). Im betrachteten Zeitraum wurden 2.011 TAVI- und 8.653 AKE-Eingriffe durchgeführt. Der Anteil der TAVI an allen Aortenklappen-Eingriffen stieg stetig an, wobei eine zunehmende Verbreitung auch in dünn besiedelten Gebieten zu beobachten ist. In ca. 10% der Krankenhäuser, in denen TAVI durchgeführt wurden, gab es keine institutionalisierte herzchirurgische Abteilung. Während im Jahr 2009 der Aortenklappen-Eingriff in knapp der Hälfte aller Krankenhäuser ausschließlich im konventionellen Verfahren erfolgte, sank dieser Anteil bis zum Jahr 2014 auf knapp vier Prozent. Gleichzeitig wurden in ca. 16 Prozent der Krankenhäuser nur noch TAVI-Eingriffe durchgeführt. TAVI-Patienten wiesen ein höheres Durchschnittsalter als AKE-Patienten auf (MW 2013: 80 vs. 70). Mit Blick auf den Komorbiditätsindex, der die vorhergesagte 30-Tages-Sterblichkeit angibt, weisen TAVI-Patienten zwar höhere Werte auf (MW 2013: 0,045 vs. 0,033), es konnte jedoch eine Tendenz zur Annäherung des Index für beiden Eingriffe festgestellt werden.

Diskussion: Die Resultate deuten darauf hin, dass sich die schnell zunehmende Verbreitung der TAVI mit einem Bedarf durch bislang inoperable Patienten erklären lässt. Jedoch zeigt der im Zeitablauf rückläufige Mittelwert des Komorbiditätsindex, dass inzwischen scheinbar auch solche Patienten mit der (erlösträchtigeren) TAVI behandelt werden, die konventionell operabel sind. Künftige Forschungen sollten auch die Bedeutung weiterer Einflussfaktoren auf die Verbreitung von TAVI, wie z. B. die Trägerschaft des Krankenhauses, in die Untersuchung einbeziehen.

Praktische Implikationen: Die Ergebnisse der Analyse zeigen, dass der Einsatz innovativer medizinischer Verfahren immer entsprechend der medizinischen Notwendigkeit erfolgen sollte. Zugleich gilt es sicherzustellen, dass Vorgaben eingehalten werden und Vergütungsanreize nicht ausschlaggebend für die Wahl des Verfahrens sein sollten. Das Beispiel TAVI zeigt sehr deutlich, dass der Grat zwischen medizinisch angebrachten Verfahren und Übertherapie schmal sein kann.