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Der Einfluss sozialer Ungleichheiten auf den Zugang und die Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen bei älteren Patienten mit koronarer Herzkrankheit – eine qualitative Studie
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Published: | September 22, 2015 |
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Hintergrund: Die koronare Herzkrankheit (KHK) zählt weltweit zu den führenden Todesursachen. Trotz klarer diagnostischer Kriterien und etablierter Leitlinien zeigen internationale Studien, dass Ungleichheiten im Zugang zu kardiologischen Versorgungsleistungen zu Lasten von Personen mit niedrigem sozialem Status existieren. Demnach haben Patienten mit hohem Sozialstatus beispielsweise eher Zugang zu einer Katheter-Diagnostik und die Inanspruchnahme von Rehabilitationsmaßnahmen ist größer. Erste Ergebnisse aus verschiedenen Bereichen der gesundheitlichen Versorgung zeigen auch für Deutschland, dass Personen mit niedrigem Sozialstatus oft diejenigen Gruppen sind, die am wenigsten von Versorgungsleistungen erreicht werden. Der Großteil der Studien folgt bisher einem quantitativen Ansatz, der beschreibende Ergebnisse über den Einfluss vordefinierter Faktoren in einem Versorgungssektor untersucht. Die Perspektive der Patienten und seine Versorgungserfahrungen wurden dabei bislang selten berücksichtigt.
Fragestellung: Welchen Einfluss haben soziale Ungleichheiten auf den Zugang und die Inanspruchnahme gesundheitlicher Versorgungsleistungen in den einzelnen Versorgungsphasen bei KHK und lassen sich bestimmte Einflussfaktoren identifizieren, die zu sozialen Ungleichheiten in der Versorgung führen?
Methode: Es werden im Rahmen einer qualitativen Längsschnittstudie 60 Patienten mit KHK im Alter von 60 und 80 Jahren zweimal innerhalb von 6 Monaten mittels leitfadengestützter Interviews mündlich befragt. Die Patienten werden in der kardiologischen Abteilung einer Universitätsklinik rekrutiert und zum Ende des stationären Klinikaufenthaltes interviewt. Die Baseline-Interviews werden zwischen November 2014 und April 2015 durchgeführt. Die Baseline-Interviews enthalten Leitfragen zur Krankheitsgeschichte, den Erfahrungen bei der Behandlung und Versorgung der Herzerkrankung, sowie die wahrgenommene Qualität der Behandlung. Die Interviews werden transkribiert und in Anlehnung an die Grounded Theory mit der Software MAXQDA ausgewertet.
Erwartete Ergebnisse: Erste Hinweise in der Auswertung zeigen, dass es soziale Unterschiede beim Zugang zur ambulanten Facharztbehandlung gibt, z.B. durch längere Wartezeiten. Ebenso zeigen sich Hinweise, dass diese Unterschiede durch eine engagierte hausärztliche Betreuung ausgeglichen werden können. Auf dem Kongress werden weitere Einflüsse sozialer Ungleichheiten auf den Zugang und die Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen bei KHK vorgestellt.
Diskussion: Ein qualitativer Ansatz eröffnet die Möglichkeit grundlegende Aspekte des Phänomens sozialer Versorgungsungleichheiten aus der Sicht der Befragten zu erfassen mit dem Ziel neue Einblicke durch die Anwendung induktiver Ansätze zu gewinnen. Es werden Schlüsselstellen im Versorgungsverlauf identifiziert, an denen die Erfahrungen von Patienten unterschiedlicher sozialer Herkunft variieren und die zu einem tieferen Verständnis sowie zu einer besseren Erklärung sozialer Ungleichheiten in der Versorgung beitragen.
Praktische Implikationen: Bei der Verminderung von sozialen Ungleichheiten kann die Stärkung der Rolle des Hausarztes in seiner Versorgungs- und Koordinationsfunktion eine Schlüsselrolle einnehmen, z.B. durch eine verpflichtende Primärinanspruchnahme von Hausärzten. Zudem können durch die qualitative Vorgehensweise neue Faktoren im Versorgungsverlauf der KHK herausgefunden werden, die durch soziale Ungleichheiten beeinflusst werden. Diese Faktoren sollen in einer quantitativen prospektiven Folgestudie untersucht werden, um langfristig Interventionen zur Verminderung sozialer Ungleichheiten in der Versorgung bei KHK zu entwickelt und in die Praxis zu etablieren.