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12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

23. - 25. Oktober 2013, Berlin

Warum nehmen Beschäftigte arbeitsmedizinische Angebotsuntersuchungen nicht in Anspruch? Einschätzung möglicher Gründe aus Sicht von Betriebsärzten und Arbeitgebern

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Martina Michaelis - Freiburger Forschungsstelle Arbeits- u. Soz.med. (FFAS), Freiburg, Germany
  • presenting/speaker Martina Michaelis - Inst. f. Arb.med., Soz.med.u. Versorgungsforsch., Univ.klin., Tübingen, Germany
  • Susanne Völter-Mahlknecht - Inst. f. Arb.med., Soz.med.u. Versorgungsforsch., Univ.klin., Tübingen, Germany
  • Nicole Blomberg - Inst. f. Arb.med., Soz.med.u. Versorgungsforsch., Univ.klin., Tübingen, Germany
  • Monika A. Rieger - Inst. f. Arb.med., Soz.med.u. Versorgungsforsch., Univ.klin., Tübingen, Germany
  • Christine Preiser - Inst. f. Arb.med., Soz.med.u. Versorgungsforsch., Univ.klin., Tübingen, Germany

12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 23.-25.10.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocPO5-3-03-157

doi: 10.3205/13dkvf315, urn:nbn:de:0183-13dkvf3151

Published: October 25, 2013

© 2013 Michaelis et al.
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Hintergrund: Im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsschutzes muss Beschäftigten nach der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV), die im Jahr 2008 in Kraft getreten ist, bei bestimmten Tätigkeiten arbeitsmedizinische Angebotsuntersuchungen angeboten werden. Diese erfolgen auf Kosten des Arbeitgebers, wobei dieser keine Bescheinigung über das Untersuchungsergebnis erhält. Verbreitung und Inanspruchnahme der für die Beschäftigen freiwilligen Untersuchungen wurden 2012 im Auftrag des BMAS aus der Sicht von Betriebsärzten (BÄ) und Arbeitgebern (AG) erfragt. Die vorliegende Auswertung fokussiert auf den Vergleich der von beiden Befragtengruppen angegebenen möglichen Gründe der Beschäftigten, das Angebot des Arbeitgebers nicht (immer) wahrzunehmen.

Methodik: Die Datenerhebung mittels standardisiertem Fragebogen erfolgte bei Mitgliedern verschiedener Landesverbände des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW) und mehrerer Arbeitgeberverbände in Baden-Württemberg (Branchenschwerpunkte: Metall- und Elektroindustrie sowie Öffentlicher Dienst/Kommunen).

Es wurde die Häufigkeit des Vorkommens von sieben standardisiert vorgegebenen möglichen Gründen für eine Nicht-Inanspruchnahme abgefragt. Diese waren zuvor aus qualitativ erhobenen Daten (Fokusgruppen und Experteninterviews mit Arbeitgebern, Betriebsärzten und Beschäftigten) operationalisiert worden. Die Angaben der Betriebsärzte bezogen sich auf den zuletzt betreuten Betrieb, die der Arbeitgeber jeweils auf den eigenen Betrieb. Die Daten wurden für beide Kollektive bivariat vergleichend (Chi2-Test) ausgewertet.

Ergebnisse: Der Rücklauf auswertbarer Fragebogen betrug 29% (n=460, BÄ) bzw. 21% (n=477, AG). Die Existenz arbeitsmedizinischer Angebotsuntersuchungen berichteten 97% aller BÄ und 75% aller AG, bei einem Anteil fehlender Angaben von unter 5%.

Jeweils rund 90% der BÄ und der AG (n=422 bzw. n=361) machten Angaben zum Inanspruchnahmeverhalten von Angebotsuntersuchungen durch die Beschäftigten. Hierbei schätzten 78% der BÄ mit gültigen Angaben und 66% der AG, dass Beschäftigte das Angebot des Arbeitgebers "meistens" oder "immer" wahrnehmen (p=0,000, phi=0,13).

Hinsichtlich der möglichen Gründe für eine Nicht-Inanspruchnahme (70-80% bzw. 56-75% gültige Angaben) besteht eine übereinstimmende Einschätzung von BÄ und AG ausschließlich bei den beiden gesundheitsbezogenen Items ("Beschäftigte gehen lieber zum Haus- oder Facharzt" (87% bzw. 73%) bzw. "sehen keine Notwendigkeit, zu einem Arzt zu gehen, wenn sie sich gesund fühlen" (89% bzw. 84%). Hohe Diskrepanzen in der Bewertung möglicher Gründe bestehen insbesondere bei Items, die sich auf mögliche Befürchtungen der Beschäftigten hinsichtlich etwaiger innerbetrieblicher Nachteile aus Untersuchungsergebnissen oder den mangelhaften Umgang mit Datenschutzregeln und/ oder der ärztlichen Schweigepflicht beziehen. Solche Befürchtungen vermuteten rund drei Viertel der BÄ, jedoch nur ein Viertel der AG (p=0,000, phi= zwischen 0,41 bis 0,55).

Diskussion/Schlussfolgerung: Allgemein wird die Inanspruchnahme von Angebotsuntersuchungen hoch eingeschätzt. Eine mögliche Positivselektion der Stichprobe sollte bei der Interpretation berücksichtigt werden. Die Befragten auf der Arbeitgeberseite scheinen die Inanspruchnahme von freiwilligen arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen durch die Beschäftigten geringer einzuschätzen als Betriebsärzte. Zugleich scheinen Arbeitgeber Befürchtungen ihrer Beschäftigten im Hinblick auf mögliche innerbetriebliche Nachteile aufgrund auffälliger Untersuchungsergebnisse deutlich weniger zu sehen als Betriebsärzte. Zu bedenken ist, dass der Anteil fehlender Angaben zu etwaigen Gründen bei den Arbeitgebern höher war als bei den Betriebsärzten. Die vorliegend erhobene Fremdeinschätzung sollte durch selbst berichtete Angaben im Rahmen einer direkten Befragung von Beschäftigten unter Berücksichtigung möglicher prädiktiver Faktoren ergänzt werden.

Aus den vorliegenden Ergebnissen ist u.a. der Bedarf für eine vermehrte Aufklärung der Beschäftigten und eine Sensibilisierung von Arbeitgebern zu den Zielen und Inhalten von Angebotsuntersuchungen (Fokus auf Prävention und Früherkennung möglicher arbeitsbedingter Beschwerden und Erkrankungen) und v.a. dem Umgang mit deren Ergebnissen (Datenschutz, Schweigepflicht) ableitbar.