gms | German Medical Science

12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

23. - 25. Oktober 2013, Berlin

Evaluation Virtual-Reality gestützter diagnostischer Testverfahren zur Messung der cervicocephalen Kinästhesie

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Marina Nusser - Inst. f. Rehabilitationsmedizinische Forschung a.d. Uni Ulm, Bad Buchau, Germany
  • Rainer Kaluscha - Inst. f. Rehabilitationsmedizinische Forschung a.d. Uni Ulm, Bad Buchau, Germany
  • Christoph Dehner - Universitätsklinikum Ulm Zentrum für Chirurgie, Ulm, Germany
  • Ulrich Bockholt - Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD, Darmstadt, Germany
  • Michael Kramer - Kreiskrankenhaus Ehingen, Ehingen, Germany
  • Gert Krischak - Inst. f. Rehabilitationsmedizinische Forschung a.d. Uni Ulm, Bad Buchau, Germany

12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 23.-25.10.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocPO4-3-11-79

doi: 10.3205/13dkvf290, urn:nbn:de:0183-13dkvf2904

Published: October 25, 2013

© 2013 Nusser et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Outline

Text

Hintergrund: Chronische Nackenschmerzen sind ein verbreitetes Problem in unserer Gesellschaft. Neue Forschungsansätze gehen davon aus, dass die zugrundeliegenden Ursachen in einer gestörten Funktion der Halswirbelsäule (HWS) liegen. Wurden bisher vor allem die Parameter Kraft und Bewegungsausmaß untersucht, ist in den letzten Jahren zunehmend die Bedeutung des Positions- und Bewegungssinns (zusammengefasst als cervicocephale Kinästhesie (CK) bezeichnet) für die Funktion der HWS erkannt worden.

In der Vergangenheit wurden verschiedene Testverfahren entwickelt, um die CK einer Testperson zu bestimmen. Der Head-Repositioning-Test(HRT) (Revel et al. 1991) misst die Fähigkeit eines Probanden, den Kopf nach einer Bewegung der HWS wieder in die Neutralstellung zurückzuführen. Der HRT wurde zum Head-To-Target-Test (HTT) erweitert (Loudon et al.1997). Dabei wird der Kopf des Probanden in eine bestimmte Position geführt, anschließend wird er aufgefordert diese Position aktiv erneut einzunehmen. Beide Testverfahren bestimmen die Differenz zwischen Soll- und Ist-Wert der Kopfposition (Joint Repositioning Error (JRE)) als Parameter zur quantitativen Beurteilung des Positionssinns.

Ein weiterer Test zur Messung der CK wurde von Kristjansson et al. 2004 vorgestellt: Anhand der Messmethode THE FLY wird der Bewegungssinn unter dynamischen Bedingungen bestimmt. Im Gegensatz zum HRT und HTT nehmen bei diesem Test auch Afferenzen aus dem visuellen System Einfluss auf den Messparameter.

Einige Studien, darunter auch Loudon et al. (1997) und Kristjansson et al. (2004) geben Hinweise darauf, dass Patienten, die unter Nackenbeschwerden leiden, eine schlechtere CK aufweisen als gesunde Kontrollprobanden.

Die beschriebenen, bislang getrennt voneinander, durchgeführten Tests (Positions- und Bewegungssinn) zur Messung der CK wurden zu einem neuen Virtual-Reality-Testverfahren weiterentwickelt (Kramer et al. 2009). Anhand dieses Verfahrens können sowohl der Positionssinn (HTT) als auch der Bewegungssinn (dynamischer Test) des cervicocephalen Systems gemessen werden. Kramer et al. (2009) untersuchten die Reliabilität des Verfahrens und konnten zeigen, dass der Parameter JRE gesunder Probanden mit geringen Abweichungen reproduzierbar ist: Die ICC des HTT lagen zwischen 0,63 und 0,48; SD der Differenzen aus den Bland & Altman Plots erreichten Werte von 2,25° - 2,58°. Die ICC des dynamischen Tests lagen zwischen 0,50 und 0,46; die SD der Differenzen erreichten Werte von 1,44° - 1,54°.

Ziel der hier vorgestellten Pilotstudie war es, die Sensitivität und Spezifität des HTT (Positionssinn) und des dynamischen Tests (Bewegungssinn) anhand des Virtual-Reality-Verfahrens zu ermitteln. Zudem sollte überprüft werden, ob Faktoren auf Funktions-, Aktivitäts- oder Partizipationsebene die CK beeinflussen.

Methodik: In dieser klinischen prospektiven Diagnostikstudie wurden 39 Patienten (m=12, w=27) mit chronischen Nackenbeschwerden nach einer oder mehreren HWS- Beschleunigungsverletzung/en (QTF II° und III°) aufgenommen. Als Kontrollgruppe

dienten 49 gesunde Erwachsene (m=20, w=29).

Bei allen Testpersonen wurde mithilfe des Virtual-Reality-Verfahrens die CK (Positions- und Bewegungssinn) bestimmt.

Zur Messung des Positionssinns wurde der HTT und zur Bestimmung des Bewegungssinns ein dynamischer Test durchgeführt. Darüber hinaus wurden die mittlere Schmerzstärke, das Bewegungsausmaß (Funktionsebene) und der Neck Disability Index (Aktivitäts-/Partizipationsebene) jeder Testperson als Nebenzielgrößen erfasst.

Beide Gruppen wurden mithilfe des Mann-Whitney-U Tests auf Unterschiede bezüglich der CK (Positions- und Bewegungssinns) untersucht.

Zur Bestimmung geeigneter Cut-off Werte wurden die Sensitivität und Spezifität des HTT und des dynamischen Tests anhand von ROC-Kurven ermittelt. Um mögliche Zusammenhänge zwischen den Nebenzielgrößen und der CK festzustellen, wurde der Spearman-Korrelationskoeffizient berechnet.

Ergebnisse: Die Messergebnisse zeigen, dass die Patienten eine signifikant (HTT: p=0,016; dynamischer Test: p<0,001) schlechtere CK aufweisen als Gesunde. Der HTT erreichte bei einem Cut-off Wert (JRE) von 6,7° eine Sensitivität von 64% und eine Spezifität von 53%. Der dynamische Test erreichte bei einem Cut-off Wert (JRE) von 4,8° eine Sensitivität von 74% und eine Spezifität von 67%.

Statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen Nebenzielgrößen und der CK konnten nicht aufgezeigt werden.

Diskussion/Schlussfolgerung: Die untersuchten Virtual-Reality- Testverfahren können Unterschiede des Positions- und Bewegungssinns des cervicocephalen Systems zwischen Patienten mit chronischen Nackenschmerzen und gesunden Kontrollprobanden aufzeigen. Der dynamische Test erscheint sensitiver und spezifischer als der HTT.

Aufgrund der vorgefundenen Defizite der CK bei Patienten mit chronischen Nackenbeschwerden, sollten künftig gezielte Therapiemaßnahmen entwickelt werden, die in der Lage dazu sind, diese Defizite zu minimieren.