gms | German Medical Science

12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

23. - 25. Oktober 2013, Berlin

Aspekte der Nachhaltigkeit in der ambulanten Versorgung von Menschen mit Demenz

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Johanna Baumgardt - Leuphana Universität Lüneburg, Lüneburg, Germany
  • Jeanett Radisch - Leuphana Universität Lüneburg, Lüneburg, Germany
  • Elina Touil - Leuphana Universität Lüneburg, Lüneburg, Germany
  • Jörn Moock - Leuphana Universität Lüneburg, Lüneburg, Germany
  • Wolfram Kawohl - Universität Zürich, Zürich, Switzerland
  • Wulf Rössler - Leuphana Universität Lüneburg, Lüneburg, Germany

12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 23.-25.10.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocPO4-1-04-120

doi: 10.3205/13dkvf262, urn:nbn:de:0183-13dkvf2624

Published: October 25, 2013

© 2013 Baumgardt et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Outline

Text

Hintergrund: Nachhaltigkeit wird als zentrale Herausforderung des deutschen Gesundheitswesens gesehen und seit langem gefordert [1], kontextbezogene Definitionen und konkrete Indikatoren zu deren Beurteilung und Steuerung bleiben zumeist jedoch aus [2], [3]. Lüdecke [4] greift dieses Problem auf und schlägt die Aspekte Koordination, Kooperation und Vernetzung als Teil-Indikatoren für Nachhaltigkeit in der Versorgung vor. Demnach erfordert eine nachhaltige Versorgung ausgeprägte Koordination, Kooperation und Vernetzung über Sektorengrenzen hinweg. Dieser Ansatz ist v.a. für pflegeintensive, chronische Erkrankungen wie Demenz sehr bedeutsam, da deren Versorgung zumeist die Inanspruchnahme diverser ärztlicher, pflegerischer und psychosozialer Angebote erfordern. Ziel der vorliegenden Erhebung war es deshalb, im Rahmen einer Versorgungsanalyse diese Aspekte in der ambulanten Versorgung von Demenzpatienten zu untersuchen und Lösungsansätze für vorhandene Defizite zu eruieren.

Methodik: Um den Ist-Zustand der Versorgung zu ermitteln, wurde zum einen in den Datenbanken Pubmed, Psyndex, PsychInfo, Web of Science, Cochrane Database of Systematic Reviews und Thieme eine systematische Literaturrecherche durchgeführt. Zum anderen wurden mit Experten aus Wissenschaft, Verbänden und Versorgungspraxis leitfadengestützte Telefoninterviews geführt. Der Interviewleitfaden wurde auf Basis der Fragestellungen und ersten Erkenntnissen der Literaturrecherche entwickelt. Die Interviews wurden transkribiert und mit MAXQDA inhaltsanalytisch ausgewertet.

Ergebnisse: Mit 11 von 20 deutschlandweit angefragten Experten konnte ein Interview geführt werden. Sowohl die Auswertung der Literatur als auch der Experteninterviews hat deutliche Defizite in den Bereichen Koordination, Kooperation und Vernetzung aufgezeigt. Deren Hauptursache wird in den fragmentierten Strukturen des Gesundheits- und Sozialsystems gesehen. Koordinationsdefizite werden darüber hinaus v.a. auf einen Mangel an Information und Kommunikation sowie eine hohe Schnittstellenproblematik zurückgeführt. Lösungsvorschläge für diese Problemlage reichen in Literatur und Experteninterviews von allgemein-strukturellen Aspekten wie einheitlichen Finanzierungs- und Abrechnungsstandards bis hin zu individuell-patientenzentrierten Ansätzen wie bspw. die Einführung ambulanter Betreuungsmanager. Als Ursache für unzureichende Kooperation werden v.a. ein Mangel an monetärer Vergütung, Fachkräften und Zeit genannt. Um dem entgegenzuwirken, wird mehrheitlich die Einführung medizinisch-pflegerischer Versorgungszentren, regelmäßiger multidisziplinärer, institutionsübergreifender Zusammenkünfte und Qualitätszirkel sowie monetäre Vergütungen vorgeschlagen. Vernetzung in der ambulanten Demenzversorgung wird mehrheitlich als kaum vorhanden, schwach ausgestaltet und wenig standardisiert beschrieben. Lösungsansätze in Literatur und Experteninterviews fokussieren hierbei v.a. auf die Schaffung politisch strukturierter und finanziell abgesicherter multiprofessioneller, sektorenübergreifender Netzwerke, die durch eine dezentrale, unabhängige Institution angeleitet, koordiniert und kontrolliert werden.

Diskussion/Schlussfolgerung: Die Versorgungsanalyse zeigt auf, dass die ambulante Versorgung von Menschen mit Demenz in den Kategorien Koordination, Kooperation und Vernetzung nicht als nachhaltig bezeichnet werden kann und legt Lösungsansätze für diese Defizite dar. Sie bestätigt Erhebungen, die einzelne Lösungsansätze erprobt haben [5] und weist darauf hin, dass diese zu einer höheren Nachhaltigkeit der ambulanten Demenzversorgung führen können. Diese nachhaltigkeitsfördernden Aspekte gilt es im Rahmen eines Versorgungskonzepts zusammenzuführen und regelhaft in die Versorgungspraxis zu implementieren. Über viele Lager hinweg werden hierfür integrierte Versorgungsformen vorgeschlagen. Einzelne Pilotprojekte integrierter Versorgungsformen für Menschen mit Demenz haben bereits erste empirische Belege für das nachhaltigkeitsfördernde Potential dieser Versorgungsformen erbracht.


Literatur

1.
Deutscher Bundestag. Unterrichtung durch die Bundesregierung. Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland: Zur psychiatrischen und psychotherapeutisch/psychosomatischen Versorgung der Bevölkerung. Bonn: Deutscher Bundestag; 1975.
2.
Empacher C, Wehling P. Soziale Dimensionen der Nachhaltigkeit: Theoretische Grundlagen und Indikatoren. Frankfurt/Main: Institut für sozial-ökologische Forschung; 2002.
3.
Littig B, Grießler E. Soziale Nachhaltigkeit: Bundeskammer für Arbeit und Angestellte. 2004.
4.
Lüdecke D. Nachhaltigkeit in der vernetzten Versorgung. In: Döhner H, Kaupen-Haas H, dem Knesebeck O, Hrsg. Medizinsoziologie in Wissenschaft und Praxis. Festschrift für Alf Trojan. Berlin, Münster: LIT-Verlag; 2009. p. 109-20.
5.
Bundesministerium für Gesundheit. Leuchtturmprojekt Demenz. Berlin: Bundesministerium für Gesundheit; 2011.