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Welche therapeutischen Vorerfahrungen haben akutpsychiatrische Patientinnen und Patienten mit Persönlichkeitsstörung und gibt es einen Zusammenhang mit dem Behandlungserfolg?
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Published: | October 25, 2013 |
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Hintergrund: Patientinnen und Patienten mit Persönlichkeitsstörungen und akuten Krisen haben meist eine längere Vorgeschichte von Therapieversuchen und -abbrüchen. Unklar ist bisher, wie diese Vorerfahrungen bei der genannten Gruppe von Patientinnen und Patienten aussehen und ob diese einen Einfluss auf die aktuelle Behandlung haben. Bisherige Ergebnisse zu dem allgemeinen Zusammenhang zwischen Vorerfahrungen und Therapieerfolg lieferten nur inkonsistente Befunde. In der Untersuchung werden Vorbehandlungen aller Art im Sinne einer explorativen Studie erfasst und deren Zusammenhang mit dem Therapieerfolg des aktuellen Aufenthaltes bewertet. Eine genauere Kenntnis dieser Zusammenhänge könnte eventuell Auswirkungen auf die differenzielle Therapieplanung bei der genannten Gruppe von Patientinnen und Patienten haben.
Methodik: 70 Patientinnen und Patienten mit Aufnahme in die Akutpsychiatrie wurden retrospektiv auf freiwilliger Basis nach positivem Votum durch die Ethikkommission untersucht. Eingeschlossen wurden Patientinnen und Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung und Anpassungsstörung, nach akuter Krise wie beispielsweise Suizidversuch, Suizidalität, fremd- oder selbstaggressive Durchbrüche. Messinstrumente beinhalteten die Erfassung von Vorbehandlungen in den letzten 5 Jahren (zu Beginn des stationären Aufenthaltes) und der psychischen Symptomatik (zu Beginn und zusätzlich zum Ende des Aufenthaltes, wenn der Aufenthalt mindesten 3 Wochen dauerte). Für die Erfassung der therapeutischen Vorerfahrungen wurde ein Fragebogen entwickelt. Die psychische Symptomatik wurde mit dem SCL 90-R erfasst. Neben der deskriptiven Beschreibung der Häufigkeiten und Arten von therapeutischen Vorerfahrungen wurde für die Inferenzstatistik ein t-Test für abhängige Stichproben zur Berechnung der Symptomverbesserung im Verlauf des Aufenthaltes berechnet. Zusätzlich wurden Korrelationen nach Pearson berechnet zur Klärung des Zusammenhangs zwischen der Häufigkeit therapeutischer Vorerfahrungen und dem Therapieerfolg (Symptomverbesserung) sowie der Schwere der psychischen Symptomatik bei Aufnahme.
Ergebnisse: Bei der Frage, welche Therapien in den letzten 5 Jahren durchgeführt wurden, gaben 51% an Antidepressiva eingenommen zu haben, 33 % Beruhigungsmittel oder Schlafmittel und 17% Neuroleptika. 20% nahmen andere Medikamente ein. 46% der Befragten konsumierten legale Drogen (Nikotin oder Alkohol) und 19% gaben an, illegale Drogen (Cannabis, Heroin, Kokain, Ecstasy) zu konsumieren. Eine ambulante Psychotherapie hatten bereits 41% Patientinnen und Patienten absolviert, ambulante Ergotherapie 20%. Außerdem wurde häufig Joggen und anderer Sport (31%) therapeutisch genutzt. In wenigen Fällen kam auch Yoga, Akupunktur und Aromatherapie zum Einsatz.
Bei den Institutionen wurden vor allem ambulante (46%), teilstationäre (17%) und vollstationäre (37%) psychiatrische und psychotherapeutische Settings aufgesucht. Im vorderen Drittel kommt jedoch auch eine Beratung durch Internetforen vor (24%.). Auch Hilfsangebote für chronisch psychisch Kranke wie betreutes Wohnen und sozialpsychiatrische Dienste wurden von jeweils 17% in Anspruch genommen.
In der Gruppe der Befragten, die 2 Messzeitpunkte aufweisen, kam es insgesamt zu einer deutlichen Besserung der psychischen Symptomatik (n= 47, p<.001). Es ergab sich jedoch kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Anzahl an Vorerfahrungen und der Symptomverbesserung (r=-.19, n=47). Jedoch wurde die Korrelation zwischen der Anzahl an Vorerfahrungen und der Symptomschwere bei Aufnahme hochsignifikant (r=.34, p=.009, n=60).
Diskussion/Schlussfolgerung: Therapeutische Vorerfahrungen hatten die befragten Patientinnen und Patienten vor allem im medikamentösen Bereich. Aber auch ambulante Psychotherapie war häufig. Ebenfalls häufig waren Erfahrungen im Bereich legaler und illegaler Drogen. Bei den Institutionen wurden vor allem psychiatrisch-psychotherapeutische Angebote in Anspruch genommen. Fast 10% der Befragten sind jedoch auf Hilfen angewiesen, die eigentlich für chronisch psychiatrische Patientinnen und Patienten der F2-Gruppe gedacht sind.
Es fand sich kein bedeutsamer Zusammenhang zwischen der Häufigkeit der therapeutischen Vorerfahrung und der Verbesserung der psychischen Symptomatik während des Aufenthaltes, also dem Therapieerfolg. Allerdings ergab sich ein positiver Zusammenhang zwischen der Schwere der psychischen Symptomatik zu Beginn des Aufenthaltes und der Häufigkeit der therapeutischen Vorerfahrungen. Der Einfluss eines eventuellen Erkrankungszeitraumes kann dabei keine Rolle spielen, da für alle Befragten ein 5-Jahres Intervall vorgegeben war. Demnach brauchen die bisherigen therapeutischen Erfahrungen in aktuelle therapeutische Planungen bei dieser Gruppe nicht explizit mit einbezogen werden, da die Vorerfahrungen für den Behandlungserfolg keine direkte Rolle spielen. Allerdings sollte den Therapeutinnen und Therapeuten bewusst sein, dass vor allem bei schwerer Symptomatik sehr viele verschiedene therapeutische Vorerfahrungen vorliegen.