gms | German Medical Science

12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

23. - 25. Oktober 2013, Berlin

Der medizinische Nutzen als Kriterium für eine Priorisierung in der Onkologie: eine quantitative Erhebung

Meeting Abstract

Search Medline for

  • presenting/speaker Marina Otten - Jacobs University Bremen, Bremen, Germany
  • presenting/speaker Adele Diederich - Jacobs University Bremen, Bremen, Germany

12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 23.-25.10.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocPO1-2-06-318

doi: 10.3205/13dkvf176, urn:nbn:de:0183-13dkvf1769

Published: October 25, 2013

© 2013 Otten et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Outline

Text

Hintergrund: Der medizinische Nutzen von Therapien ist in der Onkologie von zentraler Bedeutung. Trotz enormer medizinischer Fortschritte, erzielen die angebotenen Therapien nicht selten eine nur geringe Verbesserung des Gesundheitszustandes und bringen häufig starke Nebenwirkungen und gelegentlich schwerwiegende Schädigungen des Patienten mit sich. In dem Teilprojekt Kriterien und Präferenzen in der Priorisierung medizinischer Leistungen: Eine empirische Untersuchung der DFG-Forschergruppe FOR655 Priorisierung in der Medizin wurden die Präferenzen verschiedener Interessengruppen bei der onkologischen Versorgung empirisch untersucht und deren Kriterien hinsichtlich der Verteilung medizinischer Leistungen in der Onkologie erhoben. Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit Einstellungen zum medizinischen Nutzen als Kriterium für eine Priorisierung medizinischer Leistungen.

Methodik: In einer standardisierten Erhebung wurden bisher 123 Krebspatienten, Pflegekräfte, Ärzte und Verwaltungsmitarbeiter eines großen Krankenhauses interviewt. Der medizinische Nutzen wurde in verschiedenen Formen abgefragt, zum einen mit typischen Fragebogentechniken und zum anderen mit Hilfe von Rankings und Szenarien. Mittels deskriptiver und inferenzstatistischer Analysen wurden Präferenzunterschiede zwischen den verschiedenen Befragtengruppen untersucht. Als weitere, erklärende Variablen wurden sozidemographische Daten der Befragten herangezogen.

Ergebnisse: Die Anwendung von Kriterien bei der Ressourcenverteilung ergab folgendes Ranking nach Wichtigkeit: Heilung durch die Behandlung; Lebensqualität des Patienten; Lebensverlängerung des Patienten; Wirksamkeit einer Behandlung durch Studien nachgewiesen; Aufwand, den ein Patient für eine Behandlung auf sich nimmt; Alter des Patienten; Kosten einer Behandlung. Das Ergebnis verdeutlicht die Wichtigkeit des medizinischen Nutzens. In einem weiteren Ranking wurden nur Kriterien des medizinischen Nutzens ihrer Wichtigkeit nach in eine Reihenfolge gebracht: Die Krankheit des Patienten wird vollständig geheilt; Die Lebensqualität des Patienten wird verbessert; Die Erkrankung wird schnell geheilt; Die Lebensdauer des Patienten wird verlängert; Die Zeit bis zum nächsten Ausbruch der Erkrankung wird verlängert; Die Nebenwirkungen sind gering; Das psychische Wohlbefinden des Patienten wird verbessert. Zudem stellt ein Szenario die Situation einer fiktiven, 40-jährigen Patientin dar, die an einer bösartigen Form von Lymphdrüsenkrebs leidet. Die Befragten sollten nun entscheiden, ob sie sich in der Situation mit einer schmerzlindernden Therapie zu Hause behandeln lassen würden, mit der sie voraussichtlich noch 3 bis 6 Monate leben könnten. Oder ob sie sich einer Chemotherapie unterziehen würden, mit der sie voraussichtlich noch 7 bis 12 Monate leben könnten, allerdings mit 10-wöchiger Behandlungsdauer im Krankenhaus und erheblichen Nebenwirkungen. Eine geringe Mehrheit der Befragten sprach sich für die Chemotherapie aus. Eine Modifizierung des Szenarios veränderte die Meinungen der Befragten jedoch enorm. Eine große Mehrheit der Befragten entschied sich für die Chemotherapie, wenn die Patientin eine geringe Chance (ca. 5%) auf Heilung hätte. Beträgt das Alter der Patientin allerdings nicht 40, sondern 80 Jahre, dann spricht sich die Mehrheit der Befragten für die schmerzlindernde Therapie zu Hause aus. Desweiteren wurden die Interviewten gefragt, ob Behandlungen nur von der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden sollten, wenn deren Wirksamkeit eindeutig durch wissenschaftliche Studien nachgewiesen wurde (Evidenzbasierte Medizin). Die Mehrheit sprach sich dafür aus, jedoch änderten viele ihre Meinung als ihnen die Idee in einem komplexeren Szenario präsentiert wurde, z.B. wenn Untersuchungen zum Wirksamkeitsnachweis gerade durchgeführt werden oder ein Arzt diese Behandlung aufgrund seiner Erfahrung empfiehlt.

Diskussion/Schlussfolgerung: Die Studie zeigt die Wichtigkeit des medizinischen Nutzens bei der Verteilung von Ressourcen in der Onkologie und macht deutlich, dass dieses Kriterium mit anderen Kriterien (wie z.B. Alter) korreliert. Außerdem stellt die Studie die schwierige Lage des Kriteriums Evidenzbasierte Medizin im Priorisierungsdiskurs dar.