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12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

23. - 25. Oktober 2013, Berlin

Ambulante Versorgungsqualität von Patienten mit Vorhofflimmern: Vergleich von Praxis- und kassenärztlichen Abrechnungsdaten

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Aniela Angelow - Abt. Allgemeinmedizin, Inst. f. Community Medicine, Greifswald, Germany
  • Rebekka Deißer - Abt. Allgemeinmedizin, Inst. f. Community Medicine, Greifswald, Germany
  • Martin Sander - Abt. Allgemeinmedizin, Inst. f. Community Medicine, Greifswald, Germany
  • presenting/speaker Jean-François Chenot - Abt. Allgemeinmedizin, Inst. f. Community Medicine, Greifswald, Germany

12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 23.-25.10.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocT1-16-128

doi: 10.3205/13dkvf062, urn:nbn:de:0183-13dkvf0628

Published: October 25, 2013

© 2013 Angelow et al.
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Hintergrund: Vorhofflimmern (VHF) ist die häufigste klinisch relevante Herzrhythmusstörung. Die mittlere Prävalenz in den westlichen Industrienationen beträgt 0,5-1 % im Erwachsenenalter und nimmt altersabhängig auf 5-10 % bei über 60-Jährigen zu. VHF geht mit einem 5-fach erhöhten Risiko thromboembolischer Schlaganfälle und einem 1,5-fach erhöhten Risiko eines tödlichen Schlaganfalls einher. Das Thromboembolierisiko kann durch eine orale Antikoagulationstherapie (OAT) signifikant reduziert werden. Eine deutsche Studie auf Basis von Krankenkassendaten zeigte jedoch, dass über 40% der Patienten keine ausreichende Antikoagulationstherapie erhalten.

Ziel der aktuellen Studie ist die Analyse der Aussagefähigkeit von Routinedaten zur Beurteilung der ambulanten Versorgung bei VHF anhand eines direkten Vergleichs von kassenärztlichen Abrechnungsdaten mit in der Praxis erhobenen Daten.

Methodik: Alle Hausarztpraxen in 3 Landkreisen wurden um Teilnahme an der Querschnittstudie gebeten (N=182). Patienten mit der Diagnose VHF (ICD-10-GM-Kode I48.-) wurden mit der Praxissoftware selektiert. Daten zu Demographie, Medikation und Komorbiditäten im Zeitraum 7/2011 bis 6/2012 wurden aus der Dokumentation extrahiert und anhand eines strukturierten Erhebungsbogens mit dem Hausarzt ergänzt und validiert. Abrechnungsdaten für alle teilnehmenden Praxen wurden von der kassenärztlichen Landesvereinigung zur Verfügung gestellt. In einer deskriptiven Analyse wurden aus den Praxisdaten und den kassenärztlichen Abrechnungsdaten rohe und adjustierte OAT-Verordnungsraten unter Berücksichtigung von Kontraindikationen und Indikatoren leitliniengerechter Versorgung berechnet.

Ergebnisse: 29 Hausarztpraxen nahmen an der Studie teil (Responserate 16%). Die Niederlassungsdauer betrug für die Hälfte der teilnehmenden Ärzte mehr als 16 Jahre.

927 Patienten mit VHF wurden identifiziert und in die Auswertung eingeschlossen. Eine leitliniengestützte Indikation zur OAT, entsprechend eines CHA2DS2-VASc-Score >= 2, lag bei 93% der Patienten mit VHF vor (Durchschnittsalter 75 ± 9,6 Jahre, 54% Männer). Davon erhielten 71% der Patienten Phenprocoumon, 5% neue orale Antikoagulantien, 17% alternative Antikoagulantien (Thrombozytenaggregationshemmer, Heparin) und 7% keine Antikoagulation. Ein erhöhtes Blutungsrisiko entsprechend eines HAS-BLED-Score >= 3 lag bei 50% der Patienten mit Indikation zur OAT vor.

Die rohe Gesamt-OAT-Verordnungsrate betrug 75% (Praxisdurchschnitt 73% ± SD 17). Unter Berücksichtigung von Diagnosesicherheit, HAS-BLED-Score und Kontraindikationen lag bei 92% der Patienten eine adjustierte leitliniengerechte OAT, bei 6% eine individuelle Kontraindikation und bei 2% eine Unterversorgung vor. Häufigste Gründe für die Nichtverordnung einer OAT waren Sturzgefährdung, Demenz und ein erhöhtes Blutungsrisiko. Innerhalb der Patientengruppe ohne OAT lag ein HAS-BLED-Score >= 3 bei 10% der Patienten vor. Die rohe OAT-Verordnungsrate auf Basis der kassenärztlichen Abrechnungsdaten der Praxen betrug 53%. Bis zum Kongress werden adjustierte Analysen der Abrechnungsdaten vorliegen.

Diskussion/Schlussfolgerung: Ein sehr hoher Anteil der Patienten mit VHF erhält entsprechend der Analyse der Praxisdaten eine leitliniengerechte OAT. Im Vergleich zur berechneten rohen OAT-Verordnungsrate aus Praxisdaten liegt eine deutlich niedrigere rohe OAT-Verordnungsrate auf Basis der kassenärztlichen Abrechnungsdaten vor. Die aktuellen Analysen zeigen, dass bisherige Studien sowie eine alleinige Auswertung von Routinedaten zu einer relevanten Unterschätzung der OAT-Verordnungsrate führen. Ursachen für die Limitierung sind eine eingeschränkte Validität von ICD-kodierten Abrechnungsdiagnosen für die Identifizierung von Patienten mit VHF sowie fehlende Möglichkeit der Erfassung von individuellen Kontraindikationen in den Routinedaten.

Qualitätsindikatoren auf Basis von rohen Praxis- oder Routinedaten sollten daher unter Berücksichtigung der Datenquelle und Möglichkeiten der Adjustierung für assoziierte Faktoren bewertet werden. Die Ergebnisse dieser Studie bieten die Möglichkeit, einen angemessenen Referenzbereich für den Qualitätsindikator OAT bei VHF unter Berücksichtigung der Datenquelle zu definieren.