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Physiotherapie bei Paruresis
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Published: | November 20, 2024 |
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Einleitung: Die Paruresis ist oft nicht erkannt und definiert als „Ein bisher vernachlässigtes psychotherapeutisches Problem“ [1].
Ich möchte Ihnen anhand eines Fallbeispiels einer Schülerin V. mit Harnblasenentleerungsstörungen zeigen, wie Physiotherapie bei Paruresis hilfreich ist.
Das Mädchen kam mit 9 Jahren 18.03.2017 zu mir, da sie vor allem in der Schule und auch z.B. an Raststätten bei Fahrten in den Urlaub keine Entleerung der Blase schaffen konnte, hingegen zu Hause und im Freien im Wald gut entleeren konnte. Die Blasenkapazität war immer nahezu altersgerecht, aber da sie presste bei der Entleerung, war der Verdacht einer Detrusor-Sphinkter-Dyskoordination gegeben. Sie bekam zu Beginn Miktonetten 1-0-0 und auch gegen die gelegentliche Obstipation Movicol 1-0-1. Diese Medikamentierung konnte schon 2018 abgesetzt werden. Sie hatte oft Panik, wenn sie sich auf öffentlichen Toiletten entleeren musste.
V. kam mit 14 erneut zu mir, da sich das Problem verstärkt zeigte und echte Panikattacken zur Folge hatte. Sie hat mir unter Tränen aus einem Urlaub eine 15-minütige wirklich verzweifelte Sprach-Whatsapp geschickt, weil sie sehr oft nicht entleeren konnte.
Der Verdacht einer Paruresis wurde durch Recherche und mit Absprache der behandelnden Urologin als Verdachts-Diagnose gestellt.
Methode: Physiotherapie ist ja bekanntlich eine gute Möglichkeit bei unterschiedlichen Beschwerden zielführend eingesetzt zu werden. In diesem beschriebenen Fall von V. habe ich zunächst nach Miktions- und Defäkationskontrolle, ausführlicher Anamnese, und Befunddokumentation der Urologin mit Aufklärung über den Beckenboden begonnen. Wie funktioniert deine Blase, Verhalten auf der Toilette, nicht pressen, sondern entspannt entleeren. Hinsetzen auf die Toilettenbrille, nicht darüber schweben. V. hat immer super mitgemacht und auch bei einer Biofeedback Kontrolle mit Klebelektroden konnte sie entspannt entleeren. Übungen auf dem Pezziball, Atem- und Entspannungsübungen waren Teil der Behandlung. Vibrationstherapie wurde von V. auch als hilfreich empfunden. Die Möglichkeit mich immer anzuschreiben und nachzufragen war für V. sehr beruhigend.
Ergebnisse: Über Atemübungen und Entspannung des Beckenbodens, Körperwahrnehmung ging es V. in den ersten Jahren schon besser, bis sich im Alter von 14 das Problem erneut und zwar viel heftiger einstellte. Dann habe ich an den vorangegangenen Maßnahmen wieder angedockt, aber mit einem modernen Beckenboden-Tool das An- und Entspannen des Beckenbodens aufgearbeitet. Dazu kamen dann diese Panikattacken. Dazu haben wir versucht, psychologisch an die Probleme ran zu gehen. Ihr war es so schwer, wenn eine nicht so nette Freundin schon im Toilettenvorraum da war, oder unten an der Toilettentür ein Spalt frei war, und man vermeintlich etwas hören kann oder sie zu langsam ist, dann zu entleeren.
Sie übt zurzeit die ihr kritischen Toilettenräume bewusst aufzusuchen um durch Atmung und eine Art der Selbsthypnose und kognitive Selbstermächtigung – ich schaffe es – das Problem in den Griff zu bekommen. Es ist zurzeit viel besser. Eine andere Therapeutin hat ihr den Tipp gegeben, wenn es nicht klappen will, sich mit den Füßen auf die Toilettenbrille zu stellen und dann in der Hockstellung wie im Freien Wasser zu lassen. Als Plan B sozusagen. Das klappt dann immer.
Schlussfolgerung: Die Blasenentleerungsstörung kann funktionell bedingt sein, aber auch psychologisch blockiert sein. Hier ist die genaue Diagnostik wichtig, um eben funktionelle Pathologien auszuschließen. Physiotherapie ist ein wichtiger Baustein in der Paruresis-Therapie. Wichtig ist es auch, die Kinder und Jugendlichen ernst zu nehmen und konkrete Hilfen wie oben beschrieben zu erarbeiten. Die Paruresis müsste mehr im urologischen Setting und bei uns Physiotherapeuten bedacht werden. Eine psychotherapeutische Intervention sollte ggf. dazukommen.