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33. Kongress der Deutschen Kontinenz Gesellschaft

Deutsche Kontinenz Gesellschaft e. V.

11. - 12.11.2022, Frankfurt am Main

PANTHERA-Studie „Pelvic floor disorders in patients under ANtineoplastic THERApy“. Evaluation der subjektiv wahrgenommenen Beckenbodenfunktion bei Patientinnen mit gynäkologischen Tumoren und Mammakarzinom unter systemischer Tumortherapie mittels eines validierten Fragebogens – Interimsanalyse 2022

Meeting Abstract

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Deutsche Kontinenz Gesellschaft e.V.. 33. Kongress der Deutschen Kontinenz Gesellschaft. Frankfurt am Main, 11.-12.11.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. Doc34

doi: 10.3205/22dkg34, urn:nbn:de:0183-22dkg346

Published: November 9, 2022

© 2022 Blau-Schneider et al.
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Einleitung: Die Therapie von gynäkologischen Karzinomen mittels Radiatio, Operation und Chemotherapie führt häufig zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Beckenbodenfunktion [1]. Eine Beeinträchtigung von Blasen- und Darmfunktion sowie der Sexualität kann die Lebensqualität von Krebspatientinnen deutlich beeinflussen [2], was aufgrund der gestiegenen Anzahl von Langzeitüberlebenden durch verbesserte Therapiemöglichkeiten eine zunehmende Rolle spielt.

Dennoch werden diese Themen von den behandelnden Ärzten oft nicht aktiv angesprochen und auch von den Patienten nicht von selbst thematisiert. Belastbare Literatur zu dieser Problematik ist nur spärlich vorhanden.

Methode: Die Beeinträchtigung der Beckenbodenfunktion bei Patientinnen mit gynäkologischen Malignomen und Mammakarzinom unter systemischer Therapie wird in der PANTHERA-Studie prospektiv erfasst unter gleichzeitiger Evaluation möglicher Einflussfaktoren.

Die Erfassung erfolgt mittels des standardisierten und validierten „Deutschen Beckenboden Fragebogens“ [3]. Hiermit werden im Einzelnen die Blasen- und Darmfunktion, Senkungssymptomatik, Sexualfunktion und QoL der Patientinnen vor Beginn und nach Abschluss bzw. im Verlauf der Systemtherapie erhoben. Primärer Endpunkt und Basis für die Fallzahlberechnung ist die Inzidenz klinisch relevanter Verschlechterungen des Gesamtscores der Beckenbodenfunktion.

Zudem werden die Art der Therapie (Operation, Radiatio, Systemtherapie) und weitere Risikofaktoren für eine Beckenbodendysfunktion wie Alter, Körpergewicht, Parität, Entbindungsmodus, Nikotinabusus, Voroperationen, Vorerkrankungen und Medikation erhoben.

Es liegt ein positives Votum der Ethikkommission der Landesärztekammer Hessen für die Studie vor.

Die Studie wurde 4/2018 initiiert und befindet sich derzeit noch in der Rekrutierung. Als Screeningkollektiv dienen alle Patienten des Brustkrebszentrums und Gynäkologischen Krebszentrums des St. Josefs-Hospitals Wiesbaden. Eingeschlossen werden Patienten mit histologisch gesichertem Mamma-, Ovarial-, Zervix, Vulva- oder Endometriumkarzinom sowie auch nichtepithelialen gynäkologischen Malignomen und geplanter (neo-)adjuvanter oder palliativer Systemtherapie. Die Patientinnen willigen schriftlich in die Studienteilnahme ein, müssen ein Mindestalter von 18 Jahren haben und in der Lage sein, den Beckenboden-Fragebogen selbständig auszufüllen.

Untersuchungsdesign: Im adjuvanten und neoadjuvanten Setting erfolgt vor Applikation des 1. Zyklus einer neuen Therapie die Aushändigung des Beckenboden-Fragebogens und von einem Mitglied der Prüfgruppe werden die Nebenzielgrößen erfasst. Nach Beendigung der Chemotherapie (i.d.R. 12–24 Wochen) sowie 12 Monate nach Therapieeinschluss und 12 Monate nach Beendigung der Therapie sowie danach jährlich wird eine erneute Evaluation mittels der gleichen Instrumentarien durchgeführt.

Blasenfunktion, Darmfunktion, Senkungsproblematik und Sexualfunktion sowie QoL werden anhand von Scores mittels des validierten Deutschen Beckenboden Fragebogens erfasst. Die Blasendomäne beinhaltet 15 ?Fragen, die Darmdomäne ?12, die Deszensusdomäne 5 und die Sexualdomäne 9 bzw., falls nicht sexuell aktiv, 2 ?Fragen. Die meisten Antworten werden von 0 bis 3 bewertet (z. ?B. niemals – ?manchmal –? häufig ?– meistens), außer bei der Defäkationsfrequenz, Stuhlkonsistenz, Häufigkeit der sexuellen Aktivität, ausreichenden Lubrikation sowie Grund für sexuelle Abstinenz, da hier keine eindeutige und sinnvolle graduelle Steigerung kodiert werden kann. Für jede der vier Domänen kann ein Score ermittelt werden aus der erreichten Punktzahl, dividiert durch die maximal mögliche Punktzahl. Das Ergebnis wird mit 10 multipliziert, damit die Zahl einfacher zu handhaben ist. Der maximal mögliche Domänen-Score beträgt dann 10 und der maximale Beckenboden-Dysfunktions-Score 40, ermittelt aus der Addition der vier Domänen [3].

Statistik: Primärer Endpunkt und Basis für die Fallzahlberechnung ist die Inzidenz klinisch relevanter Verschlechterungen des Gesamtscores. Dieser streut quasi-stetig auf ganzzahligen Werten zwischen 0 (beste Funktion) und 40 (größtmögliche Dysfunktion). In der Literatur ist eine mittlere Differenz von 3,4 Punkten bei Verlaufskontrollen als großer, von 1,7 als geringer klinisch relevanter Unterschied beschrieben [3]. Die Fallzahlberechnungen wurden mit Stplan (Version 4.5) erstellt, die statistische Auswertung erfolgt mit SPSS (Version 25).

Es ist der Einschluss von mindestens 200 Patientinnen geplant.

Die Patientinnen werden nach Chemotherapieschema sowie Entität ausgewertet, um homogeneren Gruppen Rechnung zu tragen. Die Auswertungen der Sekundärkriterien werden als explorativ betrachtet.

Ergebnisse: Es konnten bis Februar 2022 bereits 167 Patientinnen in die Studie eingeschlossen werden, für die wir eine Interimsanalyse vorstellen können.

Einflussfaktoren auf die Beckenbodenfunktion: Die Spearman Korrelation der einzelnen Parameter ergab eine signifikante negative Korrelation zwischen sexueller Aktivität und Alter sowie sexueller Aktivität und Vorliegen eines Genitalkarzinoms. (Korrelationskoeffizienten -0,40 p<0,000 bzw. -0,21 p<0,016).

Zudem waren ältere Patientinnen und solche mit Genitalkarzinom nach Aufnahme der Therapie eher nicht mehr sexuell aktiv. (Korrelationskoeffizienten 0,562 p<0,019 bzw. -0,211 p<0,016).

Psychische Erkrankungen und das Vorliegen eines Genitalkarzinoms waren mit einem erhöhten Beckenbodendysfunktionsscore bereits vor Therapiebeginn korreliert. (Korrelationskoeffizienten 0,24, p< 0,006 bzw. -0,204 p<0,020).

Alle anderen erhobenen Parameter hatten keinen Einfluss.

Auswertung der Einzeldomänen: In allen Teildomänen kam es durch die Therapie zu einer Verschlechterung der Beckenbodenfunktion. Die Zwischenauswertung zeigte dabei beim Blasen-, Prolaps- und Sexualscore einen Trend für eine Verbesserung nach Abschluss der Therapie, ohne dass jedoch das Ausgangsniveau auch 2 Jahre nach Studieneinschluss wieder erreicht werden konnte. Beim Darmscore wurde kein Rückgang der Symptomatik beobachtet, es kam zu einer anhaltenden Verschlechterung.

Gesamtscore: Der Gesamtscore zeigte analog zu den Einzeldomänen eine Zunahme der Punktzahl durch die Therapie mit Plateauphase und einem Rückgang im 2-Jahres-Follow-up, ohne dass das Ausgangsniveau wieder erreicht wurde.

T-Test für den Beckenbodenscore: Der T-Test bei verbundenen Stichproben zeigte, dass die Verschlechterung des Beckenboden-Dysfunktionsscore durch die Therapie mit p < 0,005 statistisch signifikant ist. Die größte Differenz wurde hierbei 1 Jahr nach Therapieende erreicht. Ab einer Zunahme des Scores um 1,7 Punkte ist dabei von einer klinisch relevanten Verschlechterung auszugehen [2]. Dieser Cutoff wurde 1 Jahr nach Studieneinschluss erreicht, die größte Beeinträchtigung lag 1 Jahr nach Therapieende mit einer Verschlechterung um 2,3 Punkte im Vergleich zum Ausgangsscore vor. In der Zwischenauswertung zeigt sich zudem eine leichte Besserung der Beckenbodenfunktion im 2-Jahres-Follow-up, ohne dass jedoch der Ausgangswert wieder erreicht wurde.

Schlussfolgerung: Risikofaktoren für das Vorliegen einer Beckenbodendysfunktion vor Therapiebeginn waren in unserem Kollektiv das Patientenalter sowie das Vorliegen eines Genitalkarzinoms und eine psychische Vorerkrankung.

Die System-Therapie führte zu einer klinisch relevanten Verschlechterung der Beckenbodenfunktion mit einer teilweisen Erholung nach Abschluss der Therapie, ohne dass jedoch das Ausgangsniveau – auch im 2-Jahres-Follow-up – wieder erreicht werden konnte.

Wir möchten mit unserer Studie die Problematik einer Beckenbodendysfunktion nach gynäkoonkologischer Therapie ins Bewusstsein der Therapeuten rücken. Die Ergebnisse sollen dazu anregen, dieses für die Lebensqualität der Betroffenen sehr wichtige und leider immer noch tabuisierte Thema in der Betreuung der betroffenen Patientinnen aktiv anzusprechen und im Bedarfsfall Therapieoptionen anzubieten.


Literatur

1.
Ramaseshan AS, Felton J, Roque D, Rao G, Shipper AG, Sanses TVD. Pelvic floor disorders in women with gynecologic malignancies: a systematic review. Int Urogynecol J. 2018 Apr;29(4):459-76. DOI: 10.1007/s00192-017-3467-4 External link
2.
Rutledge TL, Heckman SR, Qualls C, Muller CY, Rogers RG. Pelvic floor disorders and sexual function in gynecologic cancer survivors: a cohort study. Am J Obstet Gynecol. 2010 Nov;203(5):514.e1-7. DOI: 10.1016/j.ajog.2010.08.004 External link
3.
Baessler K, Junginger B. Beckenboden-Fragebogen für Frauen. Validierung eines Instrumentes mit posttherapeutischem Modul zur Evaluation von Symptomen, Leidensdruck, Lebensqualität, Verbesserung und Zufriedenheit. Aktuel Urol. 2011; 42:316-22.