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31. Kongress der Deutschen Kontinenz Gesellschaft

Deutsche Kontinenz Gesellschaft e. V.

22.11. - 23.11.2019, Essen

283 Urethrotomien nach Otis bei relativer Harnröhrenenge und OAB-Symptomatik aus einer Serie von 1906 urodynamischen Untersuchungen

Meeting Abstract

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Deutsche Kontinenz Gesellschaft e.V.. 31. Kongress der Deutschen Kontinenz Gesellschaft. Essen, 22.-23.11.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc07

doi: 10.3205/19dkg07, urn:nbn:de:0183-19dkg070

Published: November 21, 2019

© 2019 Mohnfeld.
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Einleitung: Auf dem Kongress der Deutschen Kontinenzgesellschaft 2018 in Stuttgart wurden die Ergebnisse von 440 externen Meatotomien mit einer Heilungsrate von über 70 % vorgestellt. Dieser minimalen operativen Therapie entspricht der Pathophysiologie, dass auch bei der Frau eine infravesikale Obstruktion einen relevanten Anteil der OAB-Symptomatik verursacht.

Nach der ICS-Definition von 2002 ist die OAB eine Ausschlussdiagnose. Dazu wird auch der Ausschluss einer infravesikalen Obstruktion erwähnt, die im klinischen Alltag aber meist nicht diagnostiziert wird. Die relative Enge des Meatus externus ist die häufigste Form der Obstruktion, die gezielt mit einer Kalibrierung mit bougie à boule gefunden wird. Weitere Formen einer Obstruktion sind eine narbige, starre Urethra (postoperativ oder nach Radiatio), die interne Harnröhrenenge (unbekannter Ursache) und der erhöhte Urethraverschlussdruck (UVD >70-120 cm H2O). Der erhöhte UVD verursacht eine funktionelle Obstruktion. Die Urethrotomie nach Otis ist für diese Befunde die Methode der Wahl, da nicht der Meatus externus, sondern die gesamte Urethra betroffen ist. Aus einer Serie von 1906 vollständigen urodynamischen Untersuchungen wurden 283 Urethrotomien nach Otis durchgeführt. Die hohe Erfolgsrate belegt, wie auch die Ergebnisse der externen Meatotomie, dass ein relevanter Anteil der OAB-Symptomatik bei der Frau durch eine infravesikale Obstruktion verursacht wird und zu einer zunehmenden Trabekulierung führt. Diese kann mit der Urethrotomie einfach behandelt werden.

Methode: Bei 1906 Patientinnen in der Uro-Gyn-Sprechstunde von Dez. 1999 – Jan. 2009 wurden mit vollständiger Urodynamik, einschließlich der Urethrotonometrie, der Harnröhrenkalibrierung mit bougie à boule und minutiöser lokaler Inspektion und Palpation die narbige Urethra (postoperativ, Radiatio) eine interne Urethraenge (unbekannter Aetiologie, Atrophie) und erhöhtem UVD >70-120 cm H2O die Obstruktion diagnostiziert.

Angepasst an die individuellen Befunde erfolgte die Operiation in Lokalanästhesie, geringer Analgosedierung und mit einer Weite von 30-34 Charrière des Otis-Instruments.

Mit Berücksichtigung der Verletzungsgefahr und der anatomischen, topografischen und embryologischen Strukturen der weiblichen Harnröhre wurde die Urethrotomie nicht auf 12 Uhr, sondern auf 6 Uhr durchgeführt. Für 24 Stunden wurde ein großlumiger Dauerkatheter gelegt und nach Kontrolle der restharnfreien Entleerung entfernt.

Intra- oder postoperative Komplikationen wurden nicht festgestellt oder gemeldet (Blutung, Fistel, de novo Inkontinenz etc.). Der Therapieerfolg wurde nach Angaben der Patientinnen bei der Nachuntersuchung registriert und bei 50 % Besserung mit gut und mehr als 50 % mit sehr gut bewertet, nach Angaben der Patientinnen. Die Empfehlung zur Nachuntersuchung 6-8 Wochen nach vollständiger Abheilung wurde nur unregelmäßig befolgt. Die Dauer des Therapieerfolges konnte somit nicht systematisch erfasst werden. Die meisten Nachuntersuchungen erfolgten nach zwei Monaten, aber auch nach mehreren Jahren, wenn die Patientinnen zu weiteren Therapieoptionen (TVT, Descensus-OP, etc.) eingewiesen wurden.

Die Urethrotomie erfolgte immer vor jeder anderen Therapie, die sich aus der gesamten Diagnostik ergab. Somit konnte die kausale Wirkung dieser Methode bewertet

Ergebnisse: Von 283 Urethrotomien nach Otis konnten 148 Nachuntersuchungen dokumentiert werden. Davon wurden 69 (47 %) mit sehr gut und 68 (46 %) mit gut bewertet und ohne Besserung 11 (7 %). Zusätzlich wurden vier Untergruppen ausgewertet:

  • erhöhter UVD gesamt n:59, davon 26 dokumentiert und 12 (46 %) sehrt gut und 11 (42 %) mit gut und 3 (12 %) ohne Besserung.
  • narbige Urethra gesamt, n:53, davon 33 Nachuntersuchungen, mit sehr gut 16(48 %), mit gut 14 (42 %) und ohne Erfolg 3 (9 %).
  • Urge-Inkontinenz motorisch, n:48, davon 25 mit Nachuntersuchung, mit sehr gut 12 (48 %) und gut 8 (32 %), ohne Erfolg 5 (20 %)
  • Urge-Inkontinenz sensorisch, n:43, davon 20 mit Nachuntersuchung, mit sehr gut 12 (60 %), und 8 (40 %) mit gut, und kein Misserfolg verzeichnet

Im Überblick zu verschiedenen Relationen von zahlreichen Einzelbefunden (Trabekulierung, Drangsymptomatik, Dauer der Symptomatik, Ausmaß der Symptome und Ausmaß der Trabekulierung) lässt sich eine Ätiologie ableiten: Die infravesikale Obstruktion führt zur OAB-Symptomatik und Trabekulierung, wobei die Parameter tendenziell und synchron mit der Dauer des Leidens zunehmen.

Schlussfolgerung: Die Ergebnisse der Meatotomie nach Otis zeigen eine ebenso hohe Rate einer guten und sehr guten Wirksamkeit im Vergleich zu den Ergebnissen der externen Meatotomie. Die Methode nach Otis wird wesentlich kritischer bewertet, da Fisteln und Inkontinenz als Komplikation auftreten können. Die Urethrotomie nach Otis ist ohne abschließende Bewertung jahrzehntelang kontrovers diskutiert worden. Die Verletzungsgefahr der weiblichen Urethra, insbesondere im Bereich des Blasenhalses, ist offensichtlich größer als bei der männlichen Urethra, die ja in diesem Bereich vom festen Gewebeblock der Prostata umgeben ist. Die Klinge, die 2 mm über das Otis-Instrument herausragt, wird auf der Position 12 Uhr bei der männlichen Urethra durchgezogen. In der cranialen Blasenhalsregion findet sich bei der Frau kein ausreichendes Stützgewebe bei zu tiefem Schnitt, sondern Nervenleitbahnen und zarte Gefäßkomplexe. Deswegen haben wir in Kenntnis der anatomischen und embryologischen Vorgaben den Schnitt in der Position 6 Uhr durchgeführt, ohne Gefährdung der kritischen cranialen Strukturen. Außerdem hat die Urethra dorsal feste und stützende Verbindungen zur fascia vaginalis. Entsprechend der embryologischen Entwicklung ist auch dorsal die Verletzungsgefahr für den externen Sphinkter am geringsten. Die Berücksichtigung dieser geweblichen Gegebenheiten mögen auch dazu beigetragen haben, dass wir keine Komplikationen durch Fisteln, de novo Inkontinenzen oder Blutungen registrieren mussten, auch wenn narben, Atrophie, Strahlenfolgen oder topografische Verlagerungen bestanden. Mit diesen Befunden rückt eine Kernfrage zur OAB-Symptomatik in den Fokus der Pathophysiologie. Die infravesikale Obstruktion bei der Frau führt zu Symptomen, die der Bladder Outlet Obstruction (BOO) beim Mann durch die benigne Prostatahypertrophie entsprechen.

Die infravesikale Obstruktion der weiblichen Harnröhre ist häufig Ursache für die OAB-Symptomatik. Die Diagnose der Obstruktion wird im klinischen Alltag häufig unter der OAB-Diagnose kaschiert, da der Ausschluss einer infravesikalen Obstruktion durch die simple Harnröhrenkallibrierung mit bougie à boule nicht erfolgt.

Mit den Ergebnissen dieser umfangreichen klinischen Untersuchungen wird die infravesikale Obstruktion als bedeutender Pathomechanismus für die OAB-Symptomatik genannt. In der Uro-Gyn-Sprechstunde beklagen 70 % der Patientinnen eine OAB-Symptomatik und davon werden ca. 30 % (je nach Patientinnenkollektiv) durch eine Harnröhrenenge, extern oder intern, verursacht. Dieser Sachverhalt sollte im klinischen Alltag regelmäßig beachtet werden. Die simple Diagnose und Therapie mit einem minimalen operativen Eingriff ohne bemerkenswerte Nebenwirkungen ist erfolgreich und kann langwierige, teure und risikoreiche Algorithmen der OAB-Therapie vermeiden.

Diese umfassenden klinischen Befunde sollten von zertifizierten Zentren bestätigt werden, damit eine wirksame, aber vergessen Methode wieder den gebührenden Rang im Therapiealltag gewinnt.


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